Ulf. Mehr oder minder täglich Privatkram.

Wenn der Vater besoffen unterm Christbaum liegt.

Kategorie: Literarisch

Für M.

Er schlich in Richtung Wohnzimmer. Schlich. Andere Kinder wären in die Gute Stube gestürmt, um mit der Familie, einem strahlenden Tannebaum und viel Harmonie Weihnachten zu feiern.

Weihnachten. Das Fest der Liebe. Ha. Ha. Ha.

Zwar war er erst zehn, doch Illusionen über den Ablauf des heutigen Abends machte er sich keine mehr. Sie würden essen, der Vater würde trinken. Nicht die erste Flasche. Und wenn anderswo Bescherung war, würde es hier eine schöne Bescherung geben. Alle Jahre wieder. Irgendwann würden die Eltern streiten und dabei die Wörter benutzen, die man Kindern eigentlich verbietet. Anständigen Kindern aus anständigen Familien.

Der Vater würde irgendwann die Mutter verprügeln, und solange er damit beschäftigt war, war Gelegenheit zu flüchten. So viel hatte er gelernt. Sonst bekam er auch seinen Teil. Deshalb würde er sich auf dem Klo einschließen, darauf warten, daß der Vater mit der Mutter fertig war und ihn suchte. An die Tür hämmern würde er, sich dagegen werfen, aber die Tür hatte bisher immer gehalten. Irgendwann spät in der Nacht würde es still werden, der Vater irgendwo vom Schnaps betäubt herumliegend schlafen und er selbst zur Mutter gehen, die heulend auf dem Sofa zusammengekauert liegen würde, übel zugerichtet und den größten Teil der Kleidung in Fetzen vom Körper gerissen bekommen habend, und sie trösten müssen.
Das war Weihnachten. Alle Jahre wieder.

So setzte er sich zu seinen Eltern an den Tisch, während der Vater trank. Doppelkorn. Große Flasche. Gelegentlich mußte der Junge ihn im Supermarkt holen, und zwar viel, viel, viel davon. Auch wenn man ihm das Zeug nicht hätte aushändigen dürfen, war das kein Problem. Alle wußten, es war für seinen Vater.

Er hätte gerne zu ihm aufgeschaut wie andere Kinder, doch dies hatte sein Vater ihm ausgeprügelt. Er roch nach Alkohol, Zigaretten und viel Schweiß.Und war ganz gelb im Gesicht und hatte einen Kugelbauch. Der Tannebaum, vielmehr, die struppige Karikatur einer Tanne, war immerhin irgendwie geschmückt.

Eigentlich hätte sie auch Schnapsflaschen dranhängen können...

Irgendwann war es soweit. Der Vater fing Streit an. Stand auf. Brüllte.
Doch dann hörte er plötzlich auf. Würgte. Wurde blaß. Ging in die Knie, stürzte.

Er schaffte es dann bis auf alle viere, während die Mutter das Telefon suchte, um den Notarzt zu rufen. Der Junge stand bei seinem Vater, als er gurgelnd weiterwürgte. Da kam Blut. Viel Blut. Eine große Lache breitete sich am Boden aus. Die Mutter hatte das Telefon gefunden, doch als der Notatzt eintraf, lag der Vater schon tot in einer Lache Blut unterm Christbaum. Der Junge stand daneben.

(Dies ist eine Geschichte. Ich habe sie nicht selbst erlebt. Sie soll Kontrast bieten zur vermeintlich heilen Welt. Anlaß war ein Freund, der vergleichbares hinter sich hat)

Verzapft am 25. Dezember 2009, so um 06 Uhr 39

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Kommentare

Was sagt Claudia dazu?

25. Dezember 2009 um 07 Uhr 56 (Permalink)

Traurig! sad Da fehlen eigentlich jegliche Worte für einen angemessenen Kommentar.

Was sagt Brutzler dazu?

25. Dezember 2009 um 08 Uhr 20 (Permalink)

Hallo lieber Ulf! Mein Erzeuger hat Weihnachten oft randaliert, doch alles ohne Alkohol...was ja fast noch schlimmer ist!

Was sagt BösesKind dazu?

25. Dezember 2009 um 09 Uhr 21 (Permalink)

Sei froh, dass er so früh abgekackt ist und Dich nicht noch weitere zehn Jahre attackiert hat!

Was sagt Ulf, der Größte, dazu?

Kommentar vom Scheff hier am 25. Dezember 2009 um 09 Uhr 51 (Permalink)

@BösesKind: Das ist eine GESCHICHTE. Nicht mein Erleben. Mein Vater lebt noch und hat nie gesoffen.

Die Geschichte habe ich für einen Freund geschrieben, der den ganzen heile-Welt-Kram nicht aushielt. Er hat mir von seiner Kindheit erzählt. Von ihm stammt auch der Titel.

Was sagt BösesKind dazu?

25. Dezember 2009 um 09 Uhr 58 (Permalink)

Aber meiner hat gesoffen und geprügelt. Auch, und gerade gerne zu Weihnachten. Solch ein Ende mit ihm, hätte ich auch zu gern erlebt! Abgekackt ist der aber leider immer noch nicht!
Scheiß Weihnachten bringt beschissene Geschichten hervor.
Frohes Fest. :-s

Was sagt olli dazu?

25. Dezember 2009 um 13 Uhr 03 (Permalink)

mein stiefvater war regelmässig heiligabend spätestens zum essen sternhagelvoll

mit 55 hat derr liebe gott ein einsehen gehabt und ihn zu sich geholt...

Was sagt Krokofantilein dazu?

25. Dezember 2009 um 13 Uhr 33 (Permalink)

@Brutzler das ist in der Tat nicht schön... leider gibt es in vielen Haushalten gerade zu Weihnachten gewalt und streit..
@Claudia leider traurige Realität...
@Olli das find ich auch schlimm... so ist die Weihnachten dann auch ne psychische Belastung...

Was sagt Krokofantilein dazu?

25. Dezember 2009 um 13 Uhr 35 (Permalink)

@bk: mein schwiegervater ist der friedlichste und liebste Mensch, den man sich vorstellen kann! :-@ über ihn lass ich nichts kommen!!!!!!!!!!!!!!!!
*grummel!!!!*

Was sagt Claudia dazu?

25. Dezember 2009 um 13 Uhr 59 (Permalink)

In der Form, in der diese Geschichte im Blog steht, kann sie aber durchaus zunächst zu Missverständnissen führen. Dachte auch erst, Ulf berichtet aus eigenem Erleben.

Was sagt Ulf, der Größte, dazu?

Kommentar vom Scheff hier am 25. Dezember 2009 um 14 Uhr 19 (Permalink)

Ich habe jetzt mal eine Klarstellung eingebaut. Offensichtlich reicht es nicht, das in die Rubrik "Literarisch" einzusortieren, da hätte ich aber drauf kommen können. Ich dachte, das erkennt man als Geschichte.

Der Entstehungshintergrund: Ich mißbrauchte während einer Weihnachtsfeier, auf der gerade eine Weihnachtsgeschichte mit Happy End vorgelesen worden war (von Selma Lagerlöf), mit einem Freund das Suchtmittel Nikotin. Er sagte in Anspielung auf seine Kindheit, daß ihn diese ganzen Happy-End-Heile-Welt-Stories nerven, aber die Wirklichkeit schreibe ja keiner, denn niemand wolle lesen , wie "der Vater besoffen unterm Christbaum liegt". So ist diese Idee entstanden.

Was sagt Ma Rode dazu?

25. Dezember 2009 um 14 Uhr 33 (Permalink)

Etwas Gutes sehe ich dennoch; für M. ist das oben beschriebene Weihnachten dann das letzte Mal beschissen gelaufen. Die Erinnerungen daran kann ihm jedoch keiner nehmen ...

Was sagt Coco dazu?

25. Dezember 2009 um 19 Uhr 05 (Permalink)

Leider passieren solche "Geschichten" in so manchen Familien hinter verschlossenen Türen. Was ich nicht verstehen kann: Wie kann eine Mutter (in diesem Fall)zulassen, dass ihr Kind so etwas miterleben muss, darüber bin ich immer wieder fassunglos.

Was sagt Haus Frau dazu?

25. Dezember 2009 um 21 Uhr 25 (Permalink)

Gewalt kennt keine Feiertage. Ich gehe davon aus das der Freund Gewalttätigkeit nicht nur an den besinnlichen und frohen Feiertagen kennengelernt hat. Die Blinden sind doch wir.Jedes Jahr zu Weihnachten stehen doch immer irgendwelche Berichte von Familientragödien in den Zeitungen, also kann man nicht so tun als wenn einen das jetzt ganz, ganz doll erschüttert. Und Frauen in diesen Situationen geben sich immer die Schuld, die sind da schon so eingefahren und ehrlich wer gibt schon gerne intimes preis.Ein jeder hat doch seine Geschichte die er mit sich herumträgt und auch unter Freunden erfährt man das ein oder andere erst Jahre später.

Was sagt Pater dazu?

25. Dezember 2009 um 22 Uhr 06 (Permalink)

Der liebe Gott hat den Typen nicht "zu sich" geholt. Er hat dem den Hahn abgedreht, um Schlimmeres in der Familie zu verhüten.

Was sagt Claudia dazu?

26. Dezember 2009 um 09 Uhr 29 (Permalink)

Spätestens ab dem 3. Kommentar war es ja auch der letzten Blindschleiche klar, dass es kein Tatsachenbericht aus deiner Kindheit ist. Hatte in der Tat nicht auf die Rubrik geachtet. wink

Auf jeden Fall ist es sehr gut und eindrücklich geschrieben, so dass man auch sofort darauf einsteigt und im Bild ist. Kann auch nicht jeder. Du solltest mehr solch Zeug schreiben. Gefällt mir besser als deine manchmal etwas schrägen Videos, ehrlich gesagt.

Ich glaube nicht mal, dass jeder nur dieses Heile Welt-Zeugs zu Weihnachten lesen will. Vielleicht sollte man tatsächlich mehr aus der Wirklichkeit berichten, was sich die Leute am Fest der Liebe und auch an den anderen Tagen des Jahres wirklich so antun und sich nicht nur diese weichgespülten Weihnachts-Geschichten geben. Überhaupt, worauf beruft sich denn die ganze ach so christliche Religion? Angeblich auf einen Gott, der für unsere Sünden am Kreuz starb und uns damit von selbigen befreite. Nun ja, so kann man es auch sehen. Für mich war das Mord und garantiert nicht freiwillig, gern und aus altruistischen Gründen erduldet, um die Menschheit zu befreien. Im Tatort würde das ganz anders klingen. wink

Ich glaub, ich krieg nen Weihnachtskoller. smile

Was sagt Barbara dazu?

28. Dezember 2009 um 14 Uhr 05 (Permalink)

Ich weiss nicht, ob ich nun weinen oder lachen soll. Irgendwie gut für Mutter und Kind, das der Typ gestorben ist. Und doch traurig.

Eigenen Senf dazugeben?

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