Ulf. Mehr oder minder täglich Privatkram.

Filterlos- Versuch einer Analyse.

Kategorie: Literarisch

Der 1972 im hessischen Gießen geborene und seit 1985 in Münster lebende Ulf Hundeiker schrieb sein Gedicht „Filterlos“ im März 2016 auf Anregung eines Arbeitskollegen, dem er das als Thema des Gedichtes zugrundeliegende Problem berichtet hatte.

Er verfasste es in Form eines klassischen Sonettes, was für Hundeikers Lyrik insofern typisch ist, als dass schwermütig-ernsthafte Gedichte des seit seinem 13. Lebensjahr an Depression leidenden ehemaligen Krankenpflegers, Arbeiters und Politikers sehr frei und, vor allem in seiner früheren Schaffensperiode, zum Teil recht kryptisch sind, während er klassisch-strenge Formen bis auf wenige Ausnahmen üblicherweise weniger ernst verwendet.

Selfie.Während er bereits in der Grundschule erste Gedichte verfasste, die leider zumeist nicht oder nicht vollständig erhalten sind, begann an der Schwelle zum Erwachsenenalter eine sehr fruchtbare Zeit, in welcher auch erste Sonette entstanden. Fasziniert von der Strenge der Form wagte Hundeiker sich auch an einen Sonettenkranz, der allerdings nicht überliefert ist. Hundeiker dazu: „Das ist auch besser so. Es war schwer, es war viel Arbeit, das Ergebnis entsprach den Formvorgaben. Ansonsten war es schmalzig und abscheulich.“

Seither verfasste er nach eigenen Angaben nur zwei ernstgemeinte Sonette. Als sein Meisterwerk deklariert er das im Dezember 2006 entstandene „Sonett an den Arsch“.

„Filterlos“ ist verfasst in der Reimform abba abba cde cde mit einem fünfhebigen Jambus als Versmaß, ein sehr typisches Schema für klassische Sonette. Die Kadenz in den mittleren beiden Versen der Quartette ist männlich, in allen übrigen Versen hingegen weiblich, also unbetont.

In dem Gedicht schildert Hundeiker die für ihn regelrecht kritische Situation, sich morgens früh nach dem Aufstehen und vor dem Weg zur Arbeit mangels Kaffeefiltertüten keinen Kaffee zubereiten zu können. Als psychisch Kranker und daher labiler Mensch jedoch ist er auf Regelmäßigkeit und Rituale angewiesen. Nun wird der Ablauf seines Frühstücks empfindlich gestört und er selbst dadurch in seinem Wohlbefinden intensiv beeinträchtigt: „Weshalb ich leider kam in große Not“. Dieser zweite Vers steht bereits in starkem Kontrast zu der eher sachlichen Feststellung, keine Filtertüte zu haben, im ersten Vers.

Verstärkt wird der Eindruck der Not im dritten Vers, der „Wasser und Brot“ als Gleichnis für Armut und Gefängniskost herausstellt. Da Hundeiker sich über seine Krankheit gerne dahingehend äußert, er sei „Gefangener seiner Gefühle“, dürfte vor allem letzterer Aspekt für ihn im Mittelpunkt gestanden haben. Damit stellt er heraus, wie dramatisch sich diese Situation für ihn darstellt. Er ist quasi fremdbestimmt in diesem Fall, denn er kann nichts tun, um das akute Problem zu lösen.

Kontrastierend zur sehr metaphorisch geschilderten Krise ist wiederum der letzte Vers des ersten Quartettes, in welchem wieder schlicht und sachlich das Grundproblem aufgegriffen wird. Im ersten Vers die Feststellung: Ich habe keine Filtertüte, im vierten Vers die Folge: Ich kann keinen Kaffee kochen. Von diesen beiden Versen im Klammerreim eingeschlossen und noch vor der Erläuterung der Konsequenzen kommt zunächst ein Gefühlsausbruch. Dies steigert den Eindruck der persönlichen Dimension- er kann keinen klaren Gedanken fassen vor Entsetzen. Schließlich kommt wieder ein wenig Sachlichkeit, wie bereits erwähnt.

Im zweiten Quartett wiederum eskalieren die Emotionen im Gegensatz zum ersten gleichmäßig von Zeile zu Zeile. Nach der schlichten, doch eindrucksvollen Schilderung, wie schwer ihm in der Frühe das Verlassen des Bettes fällt, baut Hundeiker in der folgenden Zeile (Zeile 6 des Sonettes) ein Gefühl der Bedrohung auf, die Vorahnung dessen, was sich ereignen wird. In diesem Vers wirkt sich die betonende männliche Kadenz besonders intensiv aus: Das „droht“ erzwingt dadurch geradezu eine Kunstpause, die selbiges noch unheimlicher in den Raum stellt.

Ein Bruch demgegenüber ist die (scheinbar) abermals sachliche Feststellung, dass ohne Filter kein Kaffee zu erzeugen ist. Doch durch die vorangegangene Ankündigung einer Bedrohung wird aus diesem schlichten Satz doch eine furchtbelastete Aussage, die in der klagenden Anrufung Gottes gipfelt. Dies ist insofern bedeutsam, dass Hundeiker Atheist ist. Vor diesem Hintergrund jedoch wirkt sein Wehklagen nur intensiver.

Das erste Triplet schildert, abgesehen davon, dass Gott natürlich mangels Existenz nicht eingegriffen hat und damit Hundeikers Atheismus sozusagen in einem Nebensatz begründet, abermals die Not des Kaffeemangels. Hundeiker bezeichnet bezeichnenderweise den Genuss seines Morgenkaffees als „Glück“. Dies unterstreicht zusammen mit dem Wiederaufgreifen des Grundmotives dessen Stellenwert. Dies steigert sich noch durch die bange Frage, wie der Tag ohne Kaffee zu bewältigen sei, zu Beginn des letzten Triplets. Daraufhin jedoch findet der Autor zurück zur Sachlichkeit und zum Grundproblem- keine Filtertüten. Erst im letzten Vers des Sonettes „Filterlos“ jedoch zieht er die einzig logische Konsequenz, nämlich für Nachschub zu sorgen.

Das gesamte Werk ist eine Darstellung der Gefühlswelt eines psychisch Kranken, der anlässlich einer Änderung im gewohnten Ablauf regelrecht in Panik gerät und, statt sich dem Problem zu stellen und sofort zur Lösung zu finden, sich wiederholend um sich und sein Leiden kreist. Das klassischerweise in Sonetten gerne enthaltene Prinzip von These und Antitese wird zwar auch hier verwendet, doch nicht in der üblichen strophenweisen Verteilung, sondern unregelmäßig über das Gedicht verteilt, wodurch sich der Eindruck von Zerrissenheit und Anspannung verstärkt, bis sich alles im letzten Vers endlich auflöst, doch ohne zu klären, ob die Idee des Kaufes von Filtertüten letztendlich auch in die Tat umgesetzt wird oder um Sumpf der Prokrastination verlorengeht.

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So. Weitere Analysen meines Meisterwerkes sind willkommen und werden bei geeigneter Qualität entsprechend gewürdigt!

Verzapft am 24. März 2016, so um 19 Uhr 15

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Kommentare

Was sagt Frankfutt dazu?

25. März 2016 um 00 Uhr 44 (Permalink)

Salve, werter Filter-Analytiker Als infiltrierter Analytiker scheinen Ihnen lediglich die formalen Zwänge einer Untersuchung wert zu sein. Wendet man sich jedoch dem wesentlichen Kern jedweder Untersuchungsmethoden zu, so kommt man nicht umhin - zum vollendeten Aufblasen der Filterbubble - auch die originären, rhetorischen Mittel, die in der aristotelischen Rhetorik kodifiziert sind, hinzuziehen und die Inventio, Dispositio, Elocutio und Narratio eingehend in kategorisierte Untersuchungsschemata zu fassen... Da Sie jedoch punktgenau eine Woche zu früh aprilfrisch zu scherzen gedenken, muss Ihnen der Schalk scheinbar nicht nur im Nacken SITZEN, sondern sich dort fest verbissen haben... wink

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