Marathon, zum dritten: Berlin 28. September 2003 - endlich ohne Qualen!
Kategorie: Verausgabt
Vorher
Angst- Angst vor dem Mann mit dem Hammer, der mich in Münster letztes Jahr erwischte, Angst vor Problemen mit dem linken Fuß, den ich in Wien im Mai so mißhandelt habe.
Egal- ich tue es. Nummer 16569 lebt.
5:30 klingelt der Wecker in einer schönen Altbauwohnung am Prenzlauer Berg. Ein hochgradig nervöser Ulf schält sich aus dem Bett und macht sich ein paar Scheiben Toast mit Honig und eine Tasse Kaffee und säuft anschließend eine Flasche Wasser. Kriecht zum Verdauen noch einmal ins warme Bett zurück.
6:30 scheint die Stadt Berlin noch zu schlafen. Doch an den Tramhaltestellen sammeln sich ein paar Menschen in Turnschuhen, mit Chip daran und Kleidersack über der Schulter. Am Alexanderplatz allerdings: Massen füllen die S-Bahn, alle in Richtung Startzone.
8:00 Kalt isses. Sehr gut. Ich werde zwar erst frieren, zum Laufen wird das gut sein. Ich folge denen, die den Eindruck machen, als wüßten sie, wo es langgeht. Langer Weg... Ich ziehe mich um und gebe meinen Kleidersack ab.
Zwischendrin: traumatische Erfahrungen mit einem Dixieklo.
Ich trotte den Scharen hinterher zum Startblock, wie ein Lamm zur Schlachtbank. Ich friere, ich habe Angst. Die laute Discomusik lenkt mich nicht ab, eher ein wenig die Aerobic-Aufwärmübungen, die recht amüsant aussehen mit den gut gebauten Vorturnern und Vorturnerinnen.
km null
Langsam und stockend kommt die Meute in Bewegung. Etwas ärgerlich stelle ich fest, daß sich viele aus Block H (Einsteiger) in Block G (meiner) gemogelt haben. Diese halten mich reichlich auf. Bis
km zehn
ist es unmöglich, sich zu lösen und mein eigenes Tempo zu laufen. Eingekeilt zwischen langsamere Läufer hoppele ich vor mich hin. Ach, egal. Schxxx auf Superzeiten. Einfach nur gut ankommen.
km zwanzig
Ein erstes Wiedersehen mit meinem “Fanclub” (K., Katja, Joachim), der mich bei km 10 verpaßt hatte. Tut gut. Überhaupt gehts mir gut. Die Zeit ist mir schnurz mittlerweile. Kein Durst, kein Schmerz, kein nix. Ich habe sofort angefangen, Wasser zu kübeln und vorher meine ekelhaften Gels zu schlucken.
Was auffällt: Unheimlich viele DänÍnnen rennen mit. Und unheimlich viele DänInnen stehen in großen Gruppen am Streckenrand. Ist überhaupt noch jemand in Dänemark geblieben?
Kurz vorm Halbmarathon hält ein Mann ein Schild aus dem Fenster: Weltrekord! Paul Tergat in 2:04:55! Mein Nebenmann grinst: “Wir haben grad die Hälfte, und der darf schon nach Hause!”
Und überall, die ganze Strecke: Remmidemmi ohne Ende. Kaum Lücken. Trommeln, Bands, Stereoanlagen, wunderbar laut.
Langsam werden die ersten langsamer, und ich muß gelegentlich ausweichen, um zu überholen.
km fünfundzwanzig
Auf kranartigen Geräten Photographen. Alle reißen die Arme hoch- das ist schön theatralisch und erleichtern nachher das Zuordnen der Bilder zu den Läufern.
Mein linker Fuß macht sich etwas bemerkbar, und ich beginne meine Waden zu spüren. Aber alles nicht schlimm.
km dreißig
Schon so weit?!?
km fünfunddreißig
Das Publikum trägt. Nur einer läßt mich allein: Der Mann mit dem Hammer! Mir geht es prima! Ich ziehe das Tempo nochmals an und überhole einen nach dem anderen. Mittlerweile muß ich zickzack laufen. Bislang habe ich nur zum Wasserfassen Gehpausen machen, und das wird offenbar so bleiben.
Das Publikum ruft Durchhalteparolen. Ja, feuert mal die an, die es nötig haben! Ich gebe weiter Gummi und bekomme das Gefühl, meine Sohlen qualmen.
km vierzig
Ein Adidas-Plakat an der allerletzten Kurve: “Denke ja nicht daran, aufzugeben!”. Ab jetzt geht es nur noch geradeaus. Ich sehe das Brandenburger Tor- kurz dahinter ist das Ziel.
Beflügelt reiße ich immer wieder grüßend die Arme hoch und steigere nochmals mein Tempo auf etwa 5:15. Mit einer gewaltigen Gänsehaut renne ich durchs Brandenburger Tor und zweihundert Meter weiter mit einem Jubelschrei über die Ziellinie.
Es geht doch...
Mein Telephon piepst: Das vorläufige Ergebnis. 4:13:47, erste Hälfte in 2:20, zweite in 1:53. Ich glaube es kaum.
ca. zwei Kilometer muß ich noch durchs Gedränge zu den Treffpunkten. Und dort lange warten auf die anderen- kein Durchkommen, alles abgesperrt und voll. Ich lege mich, eingewickelt in meine Plastikfolie, irgendwo hin und ruhe mich aus und fühle mich gut...
Verzapft am 07. August 2010, so um 10 Uhr 08
Kommentare
Noch keine Kommentare - Schreibe etwas!
Es hilft, sich einen Account anzulegen und sich anständig zu betragen. Dann kannste auch kommentieren.