Ulf. Mehr oder minder täglich Privatkram.

Kosova 6: Das Gastmahl.

Kategorie: Verreist

Natürlich wurde ich auch von Aurelas Familie eingeladen. Schließlich war das Mädchen der Anlass für die Reise gewesen. Zum Glück hatte ich mich vorher mit der Kultur beschäftigt, denn Familie Haliti ist vergleichsweise traditionell organisiert, wenn auch längst nicht mehr so krass wie im Kanun beschrieben.

Die Gastfreundschaft ist traditionell sehr ausgeprägt, und ich war anscheinend auch noch sowas wie ein Ehrengast. Behandelt werde ich wie ein Staatsbesucher, nur ehrlich. Schon die Begrüßung dauerte ein wenig, allein schon deswegen, weil eine traditionelle Großfamilie nunmal eine Großfamilie ist. Die Söhne bleiben im Haus, deren Frauen ziehen dort ein. Und Bairam, das Oberhaupt der Familie, hat mehrere Söhne.

Mutter Kosovare mit der leukämiekranken Aurela.Unauffällig und unaufdringlich sorgen die Schwiegertöchter für mein Wohlergehen. Niemals ohne Getränk und Kaffee! Und gekocht haben sie auch, und zwar nicht zu knapp, und ich fürchte, schwerer nach Hause zu kommen als mein Arzt erlaubt. Ich muss sowieso jeden Tag unentwegt und pausenlos etwas essen! Aber lecker ist es, da fällt es nicht schwer. Eine der Beilagen ist eine Art Stapel aus dünnen Pfannkuchen, der Rest ist auch nicht ganz ohne.

Ständig wird für Nachschub gesorgt, während sich Bairam, der Hausherr, mit mir unterhält. Auf Schweizerdeutsch. Und wir besprechen, was zu besprechen ist, zum Beispiel die Fahrt nach Tirana.

Die meisten Anwesenden hingegen gucken mich nur fasziniert an, diesen seltsam aussehenden Ausländer, der den kleinen Sonnenschein retten will, obwohl er ihn gerade erst persönlich kennengelernt hat... Was mir übersetzt wird, macht mir klar, wie sehr die Familie ihre Hoffnungen auf mich setzt. Druck. Oder Ansporn. Währenddessen räumen die Schwiegertöchter strahlend hin und her, bis der Kaffee auf dem Tische steht. Man mag diese Rollenverteilung sehen wie man will, aber in diesem Fall hatte ich irgendwie den Eindruck, dass sie für mich wirklich alles getan hätten.

Feine Handarbeit.Aurela hingegen ist mir gegenüber eher zurückhaltend, als ahne sie, dass ich unangenehme Sachen mit ihr vorhabe. Diese meine Vermutung sorgt für Heiterkeit, und ich überspiele meine noch immer fortdauernde Befangenheit. So richtig im Mittelpunkt zu stehen ist mir dann doch unheimlich.

Mir bleibt nichts erspart: Geschenke als Zeichen des Respektes (so die Übersetzung) gibt es auch noch. Ich bin verlegen. Denn dieses Stück Handarbeit werden die Damen des Hauses nicht mal eben in fünf Minuten zusammengeklöppelt haben. Mir fehlen die Worte.

Nota bene: Diese Menschen sind das Gegenteil von reich.

Verzapft am 15. Oktober 2012, so um 19 Uhr 18

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