Ulf. Mehr oder minder täglich Privatkram.

Die Veränderung des Zeitempfindens in der geschlossenen Psychiatrie.

Kategorie: Verrueckt

Im Sommer 2007 verschwand ich lange von der Bildfläche, indem ich wegen Suizidgefahr etliche Wochen auf der "Geschützten Kriseninterventionsstation" verbrachte. Da sind die Ausgangsregeln zwar weniger restriktriv als auf anderen Geschlossenen, aber bis zu bestimmten Ausgangsstufen ist die Tür doch erstmal ziemlich zu.

Was bedeutet das denn für mich als Patienten?

Zum Verständnis erstmal die verschiedenen Ausgangsstufen in der LWL-Klinik:

Stufe 0: Die Tür ist so zu, zuer geht es nicht. Gar kein Ausgang, auch nicht mit Personal.
Stufe 1: Ausgang in 1:1-Betreuung durch Personal. Effektiv nicht besser als Stufe 0.
Stufe 2: Ausgang in der Gruppe mit Personalbetreuung. Damit kann (muß) man morgendlichen Spaziergang und an der Ergotherapie teilnehmen. Ein wenig frische Luft und Beschäftigung.
Stufe 3: Ausgang mit mindestens auf gleicher Ausgangsstufe befindlichem Leidensgenossen und Besuchern.
Stufe 4: Ausgang allein auf dem Gelände
Stufe 5: Ausgang auch in die Stadt.

Ich war etliche Tage auf 0 und 1, also gleichsam eingesperrt. Ich hatte nur die Uhr und die Mahlzeiten. Lesen ging nicht wirklich, dafür ging es mir zu schlecht. Der Tag dehnte sich endlos, auch dadurch, daß der Geschmack der breiten Masse das Fernsehprogramm bestimmte, und dieser war absolut nicht meiner. Nur- im Zimmer rumgammeln wollte ich und durfte ich nicht, und das Wohnzimmer war schon gemütlich.

Die ersten Tage zogen sich wie Kaugummi, sie dauerten gefühlt wesentlich länger als die restlichen Wochen ab Stufe 2 aufwärts.

Aber danach ging es sehr schnell, ruck-zuck waren mehrere Wochen vorbei.
Denn zusätzlich zu den Mahlzeiten wurde die Zeit zum Teil auch am Wochenende mit Ergotherapie gefüllt. Ich malte wie ein Irrer (naja, bin ich ja auch biggrin ) in Acryl, obwohl ich das erste mal in meinem Leben malte, gelang es ganz gut. Ich verwurstete Erlebnisse und Gedanken und mehr. Und wurde besser. Unser Stationspsychologe kaufte mir sogar ein Gemälde ab. Ich traf ihn vor einigen Wochen. Es hängt noch immer in seinem Büro, trotzdem er damit umgezogen ist.

Im hoch eingezäunten Garten wurde gegrillt, wir kauften im nahen Supermarkt auch für die anderen ein...

Ruckzuck wurde ich entlassen. Auch wenn ich dann erstmal zur Scheiß-Reha kam und von dort wieder in die Akutklinik. Und irgendwann nach siebeneinhalb Monaten, die mir viel kürzer vorkamen, ging ich wieder ganz nach Hause und zur Arbeit (Wiedereingliederung). Eine fremde Welt. Ich mußte mich wieder an ein normales Leben gewöhnen. Die Klapse war mein zu Hause geworden. Denn die Uhren in der Klinik ticken langsamer, viel langsamer. Nur keinen Streß. Keine Hektik. Gemütlich von Therapie zu Therapie schlendern. Das war mein Leben gewesen.

Verzapft am 03. April 2010, so um 12 Uhr 47

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Kommentare

Was sagt Chen-Xin Danny dazu?

25. August 2012 um 15 Uhr 57 (Permalink)

Ich war auch in der Klapse zwangseingewiesen. Und das zweimal.
Vielleicht schreiben wir uns mal.
Sie finden mich bei jugendaemter.com
NRW , dann Moers

Was sagt Caro dazu?

27. August 2012 um 20 Uhr 32 (Permalink)

Mir stellt sich gerade aktuell die Frage (zum 2. Mal), ob ich mich wieder einweisen lassen soll. Und auch beim 2. Mal werde ich nicht meine ganze GEfühlswelt offen legen, weil ich dann genau das oben beschriebene befürchte. Ich hatte zwar auf dem Klinikgelände Ausgang habe aber über 4 Wochen, manchmal bis zu 3. Mal! eine andere Medikation ärztlich verordnet bekommen. Da waren richtige "Hämmer" dabei! Die Umstellung erfolgte immer nach einer Visite (die 3x i. d. Wo stattfand) aufgrund meiner Aussagen zu meiner Befindlichkeit, Schlaf, GEfühle etc. Jetzt mache ich mir natürlich so meine Gedanken und versuche das "akute Befinden" so gut es geht zu unterdrücken. Das 1. Mal waren 6 Monate, gefühlt kam mir das lange nicht so lange vor und dann Wiedereingliederung/normales Leben. Und jetzt? Stehe ich wieder am Anfang von allem

Was sagt Ulf, der Größte, dazu?

Kommentar vom Scheff hier am 27. August 2012 um 22 Uhr 44 (Permalink)

Hast Du einen Psychiater, dem Du vertrauen kannst? Den würde ich fragen, was er Dir empfiehlt und vor allem auch welche Klinik. So wie ich das erlebt habe sind die Unterschiede gewaltig.

Was sagt Caro dazu?

29. August 2012 um 18 Uhr 22 (Permalink)

Leider nicht. Hab eine weitere Therapie nach der Klinik versäumt. Dafür aber eine neue Hausärztin der ich vertraue. Morgen versuch ich mich aufzuraffen und zu ihr zu gehen

Eigenen Senf dazugeben?

Es hilft, sich einen Account anzulegen und sich anständig zu betragen. Dann kannste auch kommentieren.

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