Fast hätte ich meinen Geburtstag vergessen...
Kategorie: Verrueckt
Mein vierter Geburtstag ist heute, und ich hätte es beinahe übersehen. Das ist ein gutes Zeichen, finde ich, denn es zeigt, daß der 16. Oktober 2007 in immer weitere Ferne rückt, immer weiter weg, immer weniger Bedeutung
hat. Der sechzehnte Oktober 2007- genau wie heute ein nicht unschöner Herbsttag, den ich damals jedoch kaum wahrnahm.
Es war ohnehin alles egal, dachte ich mir, und griff in meines Zimmergenossen Täschchen. Er hatte gerade eben sein Insulin gespritzt und war wieder gegangen, würde also, so mein Plan, so schnell nicht wieder an den Krempel müssen. Ich hatte seinen Rhythmus, seine Gewohnheiten in Sachen Insulin schon einige Tage beobachtet und unauffällig erfragt, scheinbar mit dem Interesse des Krankenpflegers.
Der „Therapeut“ hatte mich gelangweilt gefragt gehabt, einige Tage zurückliegend, wie es mir nun ginge mit meiner Depression und der Trennung von meiner damaligen Frau.
Wahrheitsgemäß antwortete ich, mir ginge es mehr als beschissen, und Lebensmut hätte ich gar keinen und würde am liebsten sterben.
Unglaublich einfühlsam wie das gesamte Personal dieser angeblichen Rehaklinik meinte er: „Ach, in der Phase stecken sie noch.“
Thema abgehakt.
Ich entnahm der Tasche mehrere Insulinpens, mehr als ausreichend für mein Vorhaben, und verzog mich zum Sterben auf die entlegenste Toilette dieser Klinik, die mich noch kränker machte, als ich schon war, wenn das noch möglich war. Wie soll ich das Gefühl beschreiben, wie fühlt es sich an, wenn man sich totspritzt? Gar nicht. Leer. Es soll nur vorbei sein.
Doch hatte ich mit einem nicht gerechnet: Mein Zimmerkollege mußte sehr außer der Reihe an seinen Diabetes-Krempel und zählte zwei und zwei zusammen, denn anders als die eigentlich Zuständigen hatte er auch noch bemerkt, daß es mir nicht gut ging. Er schlug Alarm. Ich landete Ruck-Zuck auf der Intensivation und dann wieder in der Psychiatrie.
Und doch- irgendwann, Lithium sei Dank, gingen die Suizidwünsche weg. Und ab da ging es vorwärts mit mir.
Am ersten Geburtstag schenkte ich mir meine Traumuhr*1. Danach nichts mehr. Denn die Bedeutung läßt doch nach. Denn fast hätte ich es vergessen.
Ich bin nicht gesund.
Aber ich komme zurecht damit.
Und sterben will ich schon lange nicht mehr.
- Anm. 1: Meine Uhr streßt mich nicht, denn sie zeigt mir nicht die Zeit an, die verrinnt, sondern die Zeit, die ich habe.
Verzapft am 16. Oktober 2011, so um 17 Uhr 50
Kommentare
Was sagt Marcus D Mueller dazu?
16. Oktober 2011 um 20 Uhr 08 (Permalink)
Ulf, ich danke dir für diese Worte und wünsche dir den Seelenfrieden, den du dir durch deine Werke durchaus verdient hättest.
LG, Dülla
Was sagt herzchaosmama dazu?
16. Oktober 2011 um 20 Uhr 13 (Permalink)
Zitat: "Er schlug Alarm, landete Ruck-Zuck auf der Intensivation und dann wieder in der Psychiatrie."
Ich glaube da hast Du ein Wort vergessen oder? Nach Alarm kommt doch bestimmt ein "ich"
Und gut wars, dass Du rechtzeitig gefunden wurdest.
Was sagt faehr_mann dazu?
16. Oktober 2011 um 21 Uhr 47 (Permalink)
Ich habe auch Geburtstage vergessen. Ein paar sind da.
Aber zu Dir: Alles Gute & feier ihn immer wieder! Du bist etwas besonderes.
Was sagt Günter Schütte dazu?
16. Oktober 2011 um 22 Uhr 24 (Permalink)
Herzlichen Glückwunsch! Und ich wünsche Dir noch viele Wiederholungen!
Was sagt Alex dazu?
16. Oktober 2011 um 22 Uhr 42 (Permalink)
Schön, dass du es verkraftet hast. Und natürlich auch Glück gehabt, schnell gefunden worden zu sein. Ist aber irgendwie sehr fahrlässig von deinem Therapeuten, der da nicht nachgefragt hat und das therapiert hat... Ja, sogar schon fast vorsätzlich.
Was sagt Dieter dazu?
17. Oktober 2011 um 06 Uhr 46 (Permalink)
Herzlichen Glückwunsch zu Deinem "zweiten" Geburtstag. Der letzte Satz ist richtig schön:
Und sterben will ich schon lange nicht mehr!
Alles Gute. Gruss Dieter
Was sagt Ulf, der Größte, dazu?
Kommentar vom Scheff hier am 17. Oktober 2011 um 10 Uhr 20 (Permalink)
Ich danke Euch allen!
Die Forscher gehen im Moment in die Richtung, Suizidalität als eigene Krankheit zu betrachten. Nachgewiesen als derzeit einzig wirksames Medikament ist Lithium, welches vor allem aus der Behalndlung bipolarer Störungen ("Manisch-depressiv" bekannt ist. Als ich das leste, sprach ich die Oberärztin darauf an. Und es half.
Nun hatte ich ja gerade wieder eine schwere depressive Episode - Aber ohne Suizidgedanken, und ohne diese eigentlich gut zu ertragen.
Nicht sterben zu wollen bedeutet für mich, leben zu können.
Was sagt die kleine frau dazu?
17. Oktober 2011 um 16 Uhr 03 (Permalink)
auch von mir eine Kerze, einen Keks und Glückwünsche.
Es hilft, sich einen Account anzulegen und sich anständig zu betragen. Dann kannste auch kommentieren.