Ich kenne keine sozialen Berufe mehr. Ich kenne nur noch Industrie!
Kategorie: Verrueckt
Frei nach Kaiser Wilhelm dem Zweiten und glücklicherweise letztem seiner Hurra-Parole, mit der er sein zerstrittenes Volk in die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges jubelte, an dem ein großer Teil zu Grunde ging.
In Berufen, die einst sozial waren, in denen der Mensch im Mittelpunkt stand, müssen heute Normen erfüllt werden, die aus der Industrie stammen. Nicht nur, um den Mangel
effektiver zu verwalten, sondern um sich noch mehr Mangel bei gleichbleibender Leistung erlauben zu können. Jede Minute muß effektiv genutzt werden, im Zweifelsfalle zu Lasten der Pflege der Menschlichkeit und der Beziehung zwischen den Menschen. Jeder einzelne Handgriff muß dokumentiert werden. Nicht nur, damit bei Beschwerden Beweismaterial zur Hand ist, sondern auch, um des einzelnen Arbeitenden Tun nachvollziehen, ihn gegebenenfalls anhand dessen zu mehr Effizienz (welch schönes Wort!) anzuhalten oder aber ganz auszusortieren.
Der Arbeitnehmer ist nicht mehr Mensch, sondern Leistungserbringer. Ist er, warum auch immer, weniger leistungsfähig als die immer weiter steigenden Normen, dann wird er nicht etwa seinen noch vorhandenen Fähigkeiten entsprechend eingesetzt, sondern landet, wie heute fast alles, direkt auf dem Müll der Gesellschaft.
Diese Haltung gilt mittlerweile schon auf der untersten Ebene, wie es scheint. Biste weg, biste halt weg. Warten wir auf das Ersatzteil. Hoffentlich funktioniert das besser.
Kein Wunder, daß in sozialen Berufen, die sich die Arbeitnehmer mal ganz anders vorgestellt hatten, Krankheiten wie Burnout und Depression rapide zunehmen. Und für viele ist dies dann der Anfang vom Ende*1.
Demnächst führen die noch das Qualititätsmanagement verpflichtend in den Familien ein. Für effektive Aufzucht von Stimm- und Arbeitsvieh.
Der Artikel wurde ursprünglich am 21. Mai 2011 veröffentlicht. Wegen bleibender Aktualität habe ich mal Schwupps gemacht.
- Anm. 1: Die Schweiz zieht offenbar auch schon nach.
Verzapft am 05. November 2013, so um 20 Uhr 14
Kommentare
Was sagt Brutzler dazu?
22. Mai 2011 um 10 Uhr 37 (Permalink)
Das hast du super geschrieben! Ich habe mal einen Artikel über die Arbeit einer Krankenschwester gelesen..."wenn pflegen krank macht" Bussi, dein Björn
Was sagt Ulf, der Größte, dazu?
Kommentar vom Scheff hier am 22. Mai 2011 um 10 Uhr 48 (Permalink)
Danke! Kannst Du Dich erinnern, wo Du das gelesen hast?
Was sagt Brutzler dazu?
22. Mai 2011 um 11 Uhr 00 (Permalink)
ich bin mir nicht mehr sicher, aber ich glaube, das war dieser Artikel:
http://www.readers-edition.de/2010/09/18/wenn-sparen-krank-macht-pflege-im-notstand
Was sagt nickel dazu?
06. November 2013 um 13 Uhr 42 (Permalink)
Finde ich auch ganz fürchterlich. Die Thematik ist mir zum ersten Mal richtig bewusst entgegnet, als ich meine Lehre zur Sozialassitentin machte (ein Ausbildungsberuf ohne Zukunft, Geld und Ansehen). Wir hatten eine großartige Pflege-Lehrerin, die viel Erfahrung hatte und die Praxis dementsprechend kannte. Sie brachte uns auch bei, dass man selbst für die einfachsten Gespräche eigentlich theoretisch keine Zeit hat, diese aber für einen bettlägerigen Patienten mega wichtig sind (sollte eigentlich klar sein, aber sie hat es nochmal betont, um darauf aufmerksam zu machen)
Ist es nicht grausam, dass man in den unteren Pflegestufen so wenig Zeit hat, dass man nur mal kurz reinschneit, 2 Handgriffe machen kann und dann wieder weiter hetzen muss? Unfassbar!
Ehe ich zum vernachlässigten Pflegefall werde, bring ich mich lieber um. Klingt hart, isaberso.
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