Stinkbombe und Tütensuppe: Das polytechnische Polytrauma.
Kategorie: Vergangen
"Wenn Mutti verreist oder krank ist.
Auch dann wollen wir uns selbst helfen. Wir lernen einen Knopf anzunähen..." Bla Bla.
So begann einer der bescheuertsten Texte, die meinen MitschülerInnen und mir diktiert wurden.
Das Fach hieß Polytechnik, was soviel bedeutete wie "alles mögliche mit der Hand machen" und umfaßte zum
einen den handwerklichen Teil, der Werken hieß und die Bearbeitung von Holz beinhaltete. Das gefiel mir gar nicht so übel, trotz meines begrenzten Talentes. Meine Werkstücke waren zwar zumeist eher unansehnlich, meine selbst verfertigte Gestellsäge konnte allerdings durchaus mit den anderen mithalten. Nachdem wir 1985 nach Münster gezogen waren mit großem, baumreichem Garten, setzten wir sie tatsächlich etliche Jahre noch ein.
Die andere Hälfte dieses Faches wurde unterrichtet von Frau Pohl (Name geändert), die uns zu Beginn mit dem oben zitierten Text pikierte. Der Rest des Textes nämlich, erfolgreich verdrängt, war sogar noch schlimmer. Wir fühlten uns, auch wenn wir elf, zwölf, dreizehn waren, zu alt dafür.
Frau Pohl, eine ältliche Lehrerin, war stets sehr aufgebrezelt und wurde (natürlich hinter dem Rücken) "Stinkbombe" genannt, da ihr Parfum von den meisten als etwas viel zu aufdringlich betrachtet wurde. Mich allerdings störte es nicht so sehr.
Statt Heimwerkeleien (wobei ich nichts, was ich später brauchte, wie Zusammenbau von Möbeln und Schlagbohren und Dübeln, behandelt worden war) war nun die Hauswirtschaft dran. Der Umgang mit Nadel, Faden und vergleichbaren Geräten war eher traumatisch, denn irgendwie konnte ich nichts, wirklich nichts richtig. Außer vielleicht Kreuzstich, dessen Sinn für mein Leben sich mir allerdings bis heute nicht wirklich erschließt. Meine Knöpfe hielten niemals wirklich, löcherige Strümpfe machte ich mit Stopfen endgültig unbrauchbar. Die selbst erzeugte, äh, ich glaube es sollte ursprünglich eine Puppe gemacht werden, war selbst im Vergleich mit denen meiner schlechtesten Mitnähkünstler eine Beleidigung von Käthe Kruse. Grauenhaft, wie sie war, entschloß ich mich Jahre später, sie endlich einen Gnadentod in eimen großen grauen Behälter der Abfallwirtschaftsbetriebe Münster sterben zu lassen.
Ich dachte damals, dies sei alles schon eine Strafe für alle Sünden gewesen, die ich in meinem gesamten Leben jemals begehen würde. Doch mit dem Kochunterricht hatte ich nicht gerechnet. Ich hatte mich darauf gefreut! Immerhin hatte ich, als meine Eltern mal unterwegs waren, ganz alleine und selbst ausgewählt, eingekauft und so Forelle blau gekocht und dabei festgestellt, daß Kochen mir Spaß macht.
Doch "Kochen" mit Frau Pohl war enttäuschend: Sie schien darunter jedenfalls hauptsächlich das Erwärmen von Tütenfutter zu verstehen. Ich hatte eigentlich gedacht, hier würde richtig zubereitet, so wie bei Mama zu Hause, mit Zutaten und so. Nix da. Tütenfutter gabs. Dieses Elend wurde nachher so gut es ging gemeinsam heruntergewürgt. Kein Pardon! Alle mußten mitmachen! Daß keiner ernsthaft krank wurde davon grenzt an ein Wunder. Was übrigblieb, kam in einen Plastikbeutel und wurde mit nach Hause genommen, damit man es dort offiziell seiner Bestimmung, dem Gegessenwerden, zuführe, und inoiziell, daß man es dort der Tonne überantwortete und die Ratten auf der Mülldeponie vergiftete.
Lecker war es nie, manchmal eventuell aber wenigstens ohne Brechreiz eßbar. Doch rekordverdächtig wurden die Billig-Wiener mit Tüten-Kartofelpürree: Erstens konnte ich nicht verstehen, daß letzteres, so leicht zuzubereiten wie es ist (ich konnte das schon!), nicht aus richtigen Kartoffeln gestampft wurde. Zweitens war das Resultat auch für weniger zimperliche, verwöhnte Knaben (meine Mutter ist eine phantastische Köchin!) einfach nur eklig. So viel mußte noch nie in Tüten verstaut werden.
Ich hatte damals einen Scout-Schulranzen (Tornister) mit so einem ach an der Vorderseite. Da stopfte ich immer nur mein Butterbrotpapier rein und machte es leer, wenn es voll war. Damit bei platzendem Beutel meine Hefte und Bücher verschont blieben, machte ich es mit meinem Beutel samt Würstchen und Pürree wie mit dem Butterbrotbapier: Ich tat es vorne rein und- vergaß es.
Ich wunderte mich zwar irgendwann, daß mein Ranzen ein wenig seltsam roch, da er dies aber noch dezent tat, dachte ich mir nichts dabei und lebte weiter vor mich hin.
Bis das Fach vorne voll war und ich es entleeren mußte. Ich weiß nicht mehr, wie ich es schaffte, den Beutel mit dem undefinierbaren, grau-grünen Matsch, der außerhalb des Faches wirklich furchtbar, und zwar wirklich furchtbar roch, an meiner Mama vorbeizuschmuggeln und unbemerkt zu entsorgen.
Ich mußte sehr lange darüber nachdenken, bis ich darauf kam, was das gewesen war. Das ganze war sicherlich ein halbes Jahr her gewesen.
Kochen habe ich mittlerweile gelernt, und die meisten, die teilhaben dürfen, sagen es sei mehr als nur eßbar.
Meine Knöpfe jedoch halten bis heute nicht.
Verzapft am 23. Juli 2011, so um 16 Uhr 00
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