Anziehend im Tode.
Kategorie: Vergangen
Habt Ihr schon einmal versucht, Schuhe hinten aufzuschneiden, und das mit einer gewöhnlichen Verbandschere, wie man sie im Krankenhaus hat?
Als er verstorben war, lief nicht das gewöhnliche Programm ab, also den Toten frisch und schön zurechtmachen, während die Angehörigen kurz im Aufenthaltsraum warten, frisches Flügelhemdchen, etwas Deko, und den Rest übernimmt dann später der Bestatter.
„Können wir beim Waschen und so mitmachen?“, fragten
Tochter und Sohn, beide um die vierzig, falls ich mich recht erinnere. Ich war ein wenig erstaunt, denn solcherlei Wünsche wurden mir gegenüber fast nie geäußert. In unserer Gesellschaft ist der Tod doch recht tabu, die Berührungsängste sind groß. Viele fragen sogar, ob sie den Verstorbenen überhaupt berühren können.
Erstaunt war ich, ja, aber auch erfreut. Eine Hilfe würden sie mir nicht sein, es würde sogar länger dauern und aufwändiger werden als üblich, aber so durfte ich schließlich teilhaben an einem sehr intimen Ritual der persönlichen Trauer und der Bewältigung... Und daher hielt ich auch für angemessen und wichtig, den beiden das Entfernen von Schläuchen, Infusionen und Blasenkatheter zuzumuten.
Es schien heilsam zu sein für die Geschwister.
„Können wir ihn auch anziehen? Ich hab' den Anzug schon mitgebracht.“
Au wei. Das macht doch der Bestatter?
Nun, hier war es offensichtlich meine Aufgabe. Für mich als Krankenpfleger endete mein Job micht mit dem Ende der Vitalfunktionen des eigentlichen Patienten. Immerhin hatte ich auch drei Monate Altenheim mitgemacht, und dort hatten sich die BewohnerInnen zum Teil mehr als nur nicht mitgearbeitet. Schwerer sollte das nicht werden, dachte ich, und der Bestatter wird damit schon klarkommen, wenn er noch etwas machen muss.
Einen richtigen Anzug mit allem Zubehör anzuziehen ist nicht einfach, zumindest nicht, wenn es gut aussehen soll. Aber wir waren zu dritt, und es machte richtig Freude*1.
„Die Schuhe auch?“
Von mir aus gerne, nur hatte der Verstorbene stark geschwollene Knöchel. Seine Kinder kamen auf die Idee mit dem Aufschneiden. Versuche mal, gute, echte Lederschuhe mit einer normalen Schere kaputtzubekommen...
Es dauerte ewig. Aber es tat gut, denn trotz des erheblichen Aufwandes (oder gerade deswegen?) war dies eine der entspanntesten Abschiede, die ich erleben durfte. So umfassend. So vollständig. So selbstverständlich. So dazugehörend.
- Anm. 1: Ist eine andere Art von Freude natürlich.
Verzapft am 28. Mai 2012, so um 13 Uhr 34
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