Ulf. Mehr oder minder täglich Privatkram.

Was heißt schon „behindert“?

Kategorie: Verdingt

Vor zwei Jahren kam mein Bescheid: Schwerbehindert mit einem Grad von fuffzich.

Ausschnitt aus dem Bescheid.In der Tat kann ich nicht so gut wie ich gerne möchte: Konzentration und Merkfähigkeit sind weiterhin nicht gut, doch immerhin kann ich das mittlerweile recht gut austricksen. Und ich fühle mich schnell überfordert, zumindest, wenn ich etwas nicht komplett selbst steuern kann. Und auch wenn ich mich um andere mit teilweise erheblichem Aufwand kümmern kann, für mich bzw. uns selbst ist das ausgesprochen schwer. Vor allem alles, was unter Bürokratie fällt.

Nun, mach etwas aus Deinem Leben, Ulf, wie auch immer das gehen soll.

Konzentration und Merkfähigkeit trickse ich mit Hilfe der Technik aus. Der synchronisierbare Kalender im Smartphone erinnert mich elektronisch an Termine. Eine Einkaufszettel-App sorgt dafür, dass ich auch nichts vergesse, aufzuschreiben. Mit meinem E-Book-Reader kann ich die Schrift anpassen.

Überforderung sollte zumindest im Job zu vermeiden sein. Ich bin ja derzeit in einem Integrationsbetrieb.

Und mich um mich selbst zu kümmern sollte ich auch noch besser hinbekommen.

Geredet wird viel über Integration und Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Doch nun arbeite ich als Schwerbehinderter in einem speziellen Betrieb. Das mache ich auch sehr gerne, und die anderen sind auch alle (naja, FAST alle) gut drauf. Eine Sammelstelle für diejenigen, die in der freien Wirtschaft keinen Platz haben. Nicht, dass ich das schlecht finde, aber mittendrin unter Normalos, so wie ich Inklusion verstehe, ist das auch nicht.

Ich selbst brauche das auch nicht wirklich. Ich habe das Gefühl, endlich unter normalen Menschen zu sein. Die vielleicht erhebliche Macken haben mögen, oder auch kognitiv noch viel mehr Probleme haben als ich. Aber hier hilft einer dem anderen, wenn der gerade nicht klarkommt. Wir beaufsichtigen uns und lösen Schwierigkeiten selbst. Und kloppen dabei Öldruckventile und extrem hochwertige Fahrradkomponenten zusammen.
Fern der großen, bösen Welt.
smile

Verzapft am 04. Juni 2013, so um 19 Uhr 48

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Kommentare

Was sagt Sebastian dazu?

04. Juni 2013 um 20 Uhr 05 (Permalink)

Die Schule unsere Tochter ist der Inklusion glücklicherweise entronnen. In andere EU-Ländern mag so etwas notwendig sein, aber in Deutschland ist es für viele Betroffene schlichtweg Folter.

Dein Beispiel bestätigt den Unsinn der Inklusion in Deutschland.

Was sagt Big Al dazu?

04. Juni 2013 um 20 Uhr 08 (Permalink)

Inklusion?
Jein. Mit körperlichen Behinderungen ist das durchaus machbar.

Was sagt Ulf, der Größte, dazu?

Kommentar vom Scheff hier am 04. Juni 2013 um 20 Uhr 10 (Permalink)

@Sebastian: Kannst Du das noch ein wenig erläutern?

Jedenfalls finde ich es hirnrissig, wenn Inklusion gefordert wird, aber dann nicht durchgezogen.

Ich persönlich möchte gar nicht mehr inkludiert werden. Es würde mich wieder kaputt machen.

Was sagt Dierk dazu?

04. Juni 2013 um 20 Uhr 55 (Permalink)

Ulf, ich sehe, dass du einen Kneipenlog-Beitrag verlinkt hast, der heute durch ein technisches Versehen online ging. Der ist jetzt nicht mehr erreichbar, da ich - als einer der Autoren - ihn auf Entwurf/Privat gesetzt habe. Es handelt sich um ein work in progress, bisher nicht viel mehr als eine Sammlung von Punkten, die wir abarbeiten wollen.

Bist du so nett, den Link wieder zu entfernen, bis wir fertig sind? Danke!

Was sagt Achim dazu?

04. Juni 2013 um 22 Uhr 04 (Permalink)

50% reichen ja auch schon, um 5 Tage mehr Urlaub im Jahr zu bekommen, selbst bei 100% bleibt es bei den 5 Tagen.

Ich persönlich kann damit leben, behindert zu sein, krank fühle ich mich einfach nicht, auch wenn ich anders als andere fühle.

Bei uns geht es auch um soziale Inklusion.

Da unsere Werkstatt noch ganz neu ist, haben wir auch noch keine festen Aufträge. Allerdings haben wir auch noch keine Teilnehmer, die im Arbeitsbereich sind. Und bisher ist auch erst die Holzwerkstatt auf. Ab 12 festen Teilnehmern kommt, glaube ich, ein weiterer Mitarbeiter, dann erst kann die Metallwerkstatt starten.

Was sagt Michael Drews dazu?

04. Juni 2013 um 22 Uhr 37 (Permalink)

Der Begriff "Eingliederung" wäre hier günstiger, da der Begriff Inklusion in pädagogischer und sozioligischer verschieden und vielschichtiger sind, und es so möglicherweise nicht zu missverständnissen kommen kann. Ich kenne den Begriff aus der Armutsforschung (Soziologie), und da wird den Begriff und dessen Bedeutung unter den Autoren häufig gestritten. Da stellt sich die Frage: "Eingliederung", worein?

Was sagt kall dazu?

04. Juni 2013 um 23 Uhr 52 (Permalink)

Inklusion ist machbar, oft aber nicht immer, und auf jeden Fall nicht mit der Brechstange.

Ich bin 60% schwebi (aus Krankheitsgründen und in Heilungsbewährung)und brauche nicht inkludiert zu werden, ich inkludiere mich selbst. Anderen geht es komplett anders, kein Fall gleicht dem anderen.

Inklusion als solche gibt es m.E. auch gar nicht, das ist ein in meinen Augen ein Kunstwort, das ganz verschiedene Dinge meinen kann.

Ich bin auf eine Schule gegangen, in der es in jeder Klasse 1-4 teilweise schwerst körperbehinderte Schüler gab, die in einem in der Nähe gelegenen Internat untergebracht waren, das war in den späten 60ern bis Mitte der 70er. Die Schule galt damals als Modellschule und war in vielerlei Hinsicht auf diese Schüler vorbereitet und für sie ausgestattet. Auch die Lehrkräfte waren vorbereitet und geschult. Praktisch alle körperbehinderten Schüler haben damals Abitur gemacht. Es war selbstverständlich, dass sie an allen Aktivitäten Klassenfahrten etc. gleichberechtigt teilnahmen. Für bestimmte Handycaps z.B. Schreiben mit dem Fuß oder mit der Schreibmaschine gab es Nachteilsausgleiche oder auch schon mal persönliche Assistenz durch andere, was aber insgesamt eher zurückhaltend gehandhabt wurde.

Alle behinderten Schüler waren aus meiner Sicht vollständig inkludiert. Das war aber eben nur möglich, weil diese Schule und auch die Lehrkräfte vollständig auf diese Schüler eingerichtet waren. Zwangsinklusion an nicht drauf vorbereiteten Regelschulen, wie sie teilweise heute gefordert und praktiziert wird, muss m.E. scheitern, wenn die nötige Infrastruktur auch personeller Art nicht zur Verfügung steht. Und ich glaube, das gilt in ähnlicher Weise auch für das Arbeitsleben. Es gibt sicher viele Bereiche, wo mehr Inklusion möglich wäre, wenn der Wille und etwas Kreativität vorhanden wäre, in anderen Bereich sollte man es aber vernünfitgerweise nicht mit der Brechstange versuchen, weil damit niemandem gedient ist.

Barrierefreiheit ist hingegen ein anderes Thema. Mit mehr Barrierefreiheit kann man eigentlich nichts falsch machen, und da gibt es noch viel aufzuholen.

Ich denke, es wäre insgesamt vorteilhafter sich einfach möglichst genau an den tatsächlichen Bedürfnissen der so unterschiedlich behinderten Menschen, die sich oft genug gar nicht so sehr behindert fühlen, zu orientieren als alles zwanghaft so "normal" wie irgend möglich gestalten zu wollen. Manchmal sind für manche Menschen eben andere Dinge "normal" als für andere. Das herauszufinden und den Bedürfnisssen gerecht zu werden, wäre in meine Augen der logische Ansatz.

Was sagt Sebastian dazu?

05. Juni 2013 um 12 Uhr 35 (Permalink)

Inklusion ist schlichtweg überflüssig, zumindest dort, wo immer wieder darüber berichtet wird: In Schulen und Kindergärten.

Bea ist 100% schwerbehindert, geistig auf dem Stand von anderthalb, körperlich etwa 8-10, tatsächlich 14 Jahre.

Wir hätten sie zur Einschulung in die normale Grundschule schicken können. Sie hätte einen Einzelhelfer bekommen, wäre dort untergegangen und hätte die ganze Klasse vom Lernen abgehalten.

Jetzt ist sie in einer Schule für geistige Behinderungen und wird entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit gefördert. Vielleicht, (aber nur vielleicht!) kann sie zum Schulabschluss ihren Namen malen, das wäre ein großer Erfolg. In ihrer Klasse sind sechs Kinder und meist zwei Pädagogen (Lehrer, Pflegekräfte, etc.).

Die Schule konnte sich vorerst vor der Inklusion retten, die besagt: Alle Kinder müssten an eine normale Schule und würden dort besonders betreut. In einer Klasse mit 30+ Kindern würde sie sich total zurückziehen und im wahrsten Sinne des Wortes eingehen, das sehen wir schon bei Gruppen von weniger Kindern/Menschen jedes Mal.

In Deutschland (möglicherweise wo anders nicht!) ist die Inklusion überflüssig, weil auf Behinderte ohnehin seit Jahren intensiv eingegangen wird - bis hin zum Einzelhelfer.

Mein Cousin (bald 40) ist stark schwerhöhig - und war auf einer normalen Schule (zumindest soweit ich weiß). Das hat auch funktioniert, genau wie das Studium. Siehe http://notquitelikebeethoven.wordpress.com

Was sagt Michael Drews dazu?

05. Juni 2013 um 13 Uhr 13 (Permalink)

Die "Inklussion" gibt es nicht. Hier wir Inklusion aus pädagogischer Sicht mit der aus soziologischer Sicht in einen Topf geworfen, was für viele Betroffenen viel zu kurz gefasst ist. Um das beurteilen zu können muss man doch die gesamte Lebenssituation des einzelnen Betroffenen in Erfahrung bringen, dann den möglichen Bedarf abklären und dann die nächsten Schritte andenken, und nicht so pauschal beurteilen.

Was sagt Ulf, der Größte, dazu?

Kommentar vom Scheff hier am 05. Juni 2013 um 13 Uhr 37 (Permalink)

Klingt unterm Strich so, als würde Inlkusion wenn, dann als unreflektiere Zwangsmaßnahme um jeden Preis durchgezogen, ob es für den einzelnen nun richtig ist oder nicht.

Womit der Betroffene wieder in einer Schublade landet.

Jedem sollte ermöglicht werden, sein Leben so normal wie möglich zu führen. Dazu gehört sicherlich nicht, dass ihm irgendwelche Vorstellungen aufs Auge gedrückt werden...

Was sagt Michael Drews dazu?

05. Juni 2013 um 13 Uhr 51 (Permalink)

Ulf, vollkommen richtig! Um überhaupt von Inklussion sprechen zu können, muss man natürlich eine individuelle Sozialanamnese erstellen, Zielvorstellungen erabeiten, und eine individuelle Hilfplanung durchführen mit zwischenzeitlichen Evaluationen. Ansonsten ist das so wie du anmerkst, eine Pauschallösung. So etwas hat allerdings mit wirklicher Inklusion nichts zu tun. Da sich im Laufe der Jahrzehnte (seit den 60. Jahren) die Definitionen der Begriffe Inklusion und Exklusion im Verständnis immer wieder veränderten, kommt es leicht zu Missverständnissen und endlosen Diskussionen.

Was sagt Ulf, der Größte, dazu?

Kommentar vom Scheff hier am 05. Juni 2013 um 14 Uhr 08 (Permalink)

Sesselpupser mal wieder.

Ich bin recht froh, erstmal "exkludiert" zu sein. Meine Kollegen sind genau richtig! smile

Was sagt inklusator dazu?

06. Juni 2013 um 08 Uhr 41 (Permalink)

Inklusion wird schnell zur Scheininklusion, die den betroffenen Schülern noch mehr vor Augen führt, was sie nicht können.

Was sagt Chris (schon vergebener Benutzername) dazu?

06. Juni 2013 um 14 Uhr 16 (Permalink)

Dieser Integrationsbetrieb, um den es hier geht – gehört der nicht zur freien Wirtschaft? Es heißt doch, ein Integrationsunternehmen sei ein juristisch selbstständiger besonderer Betrieb des allgemeinen Arbeitsmarktes, ein Betrieb, der sich durch die Besonderheit auszeichnet, dass er wirtschaftliche Ziele verfolgt und gleichzeitig dauerhaft auf einem großen Anteil seiner Arbeitsplätze Menschen mit Behinderung beschäftigt.

Eigenen Senf dazugeben?

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