Ulf. Mehr oder minder täglich Privatkram.

Nicht so wie bei Schwester Stefanie

Kategorie: Verdingt

Ein ganz normaler Spätdienst an einem ganz normalen Sonntag. Es ist zwar gut zu tun, aber ruhig. Ich messe gerade bei einem jüngeren Patienten den Blutdruck, als der Alarm geht. Ich renne los, so wie es mein Übergewicht erlaubt. Wie immer. Das ist eigentlich nicht spektakulär, daß passiert mindestens einmal pro Schicht und ist in der Regel Fehlalarm, versehenlich ausgelöst.

Diesmal nicht.

Ich sehe meine Kollegin am Bett eines älteren Herrn stehen, der seltsame, aber bekannte Geräusche von sich gibt. Eine Mischung aus Gurgeln und Schnappatmung. Ich taste nach der Arteria carotis, der Halsschlagader. Puls hat er noch, aber so, wie es aussieht, nicht mehr sehr lange. Ich übernehme das Management. Das Kopfteil muß weg. Es wäre beim Beatmen und der Intubation im Weg. Außerdem brauche ich das Brett, um es unter den Patienten zu legen, denn die Matratze des Bettes gibt nach und macht damit die Herzmassage unmöglich. Sie wetzt ins Dienstzimmer, um dort den Reanimationsfunk auszulösen, damit innerhalb von wenigen Minuten Ärzte aus der Anästhesie und der Inneren Abzeilung kommen, und um den Notfallkoffer mitzubringen. Als sie wieder eintrifft, bin ich fertig mit der Vorbereitung, der Galgen liegt irgendwo in einer Ecke, das Brett ist unter dem Brustkorb und der Puls ist weg.

Mit dem üblichen ekelhaften Knacken lösen sich die verkalkten Gelenke zwischen den Rippen und dem Brustbein, als ich mit der Herzmassage beginne. Dies sollte man sich nicht so vorstellen wie bei Schwester Stefanie oder vergleichbaren Serien, die alles andere tun als die Wirklichkeit abzubilden. Man hat nicht den Patienten auf Brusthöhe und pumpt mit vorgestreckten Armen, indem man da ein paar Millimeter runterdrückt. Ich stehe über den Herrn gebeugt und drücke das Brustbein unter Einsatz meines Körpergewichtes etwa fünf Zentimeter in Richtung Wirbelsäule. Der Patient sabbert. Währenddessen, wir sind mittlerweile zu dritt, werden der Beatmungsbeutel samt Sauerstoffanschluß zusammengebaut, und nach dreißig Kompressionen meinerseits bekommt der Patient von meinem Mitstreiter aus dem nunmehr fertigen Zeug zweimal hoch mit Sauerstoff angereicherte Luft in die Lungen gedrückt. Und wieder von vorne.

Als die Ärztinnen bei uns aufschlagen, ist er bereits erfolgreich intubiert. Das macht die Beatmung effektiver. Und dann trifft auch schon der Kollege von der Intensivstation ein. Er hat einmal deren Notfallkoffer dabei. Dort ist noch mehr Zeug drin. Und den Defibrillator samt EKG. Während ich weiterpumpe, wird verkabelt. Kammerflimmern. Also setzt er die Pads an. "Weg vom Bett" - Das kommt wohl in jeder Serie noch vor. Der Rest ist weniger spektakulär. Er zuckt ein bißchen. Sinusrhyhmus! Doch die Freude währt nicht lange. Nach insgesamt fünfmal "grillen" (Krankenhausjargon für defibrillieren, also mit Elektroschock das Herz wieder dazu zu bewegen versuchen, vernünftig zu schlagen) haben wir ihn anscheinend soweit. Das Herz schlägt. Das EKG sieht zwar abenteuerlich aus, aber wenigstens schlägt das Herz.

Tags darauf erfahre ich von den Kolleginnen der Intensivstation, daß er wieder wach und ansprechbar ist.

Mein Beruf ist zwar ganz anders und teilweise auch unästhetischer als bei Stefanie. Aber das ist echt. Das kann mir kein Fernseher geben.

Verzapft am 10. Juni 2009, so um 04 Uhr 50

« Voriger Artikel
Nächster Artikel»

Kommentare

Was sagt psychoMUELL dazu?

10. Juni 2009 um 07 Uhr 37 (Permalink)

ihr dürft offiziell als Pfleger intubieren oder wird das nur im Notfall "toleriert"?

Was sagt Ulf, der Größte, dazu?

Kommentar vom Scheff hier am 10. Juni 2009 um 14 Uhr 29 (Permalink)

@SuMu:
Das war noch nicht mal einer von uns. Es war der Patient aus dem Zimmer, aus dem ich fortrannte. Er war mir hinterhergerannt. Er war Rettungsassistent mit langjähriger Berufserfahrung und handelte im Rahmen der Notkompetenz. Wenn es richtig gemacht wurde, fragt auch keiner danach, wie der Tubus da reingekommen ist. Es geht um Leben und Tod. Da gelten andere Gesetze.

Was sagt psychoMUELL dazu?

10. Juni 2009 um 15 Uhr 35 (Permalink)

intubieren lernt man doch als Pfleger nicht oder? Dürft ihr das auch mal üben, für den Notfall?

Was sagt Ulf, der Größte, dazu?

Kommentar vom Scheff hier am 10. Juni 2009 um 15 Uhr 53 (Permalink)

Ich habe das mal gelernt, aber eigentlich muß ich das gar nicht können. Die Docs sind in der Regel ziemlich schnell da.

Was sagt chefarzt dazu?

10. Juni 2009 um 21 Uhr 08 (Permalink)

Intubiert vom Patienten, auch nicht schlecht ... Aber kann im Rahmen der Notkompetenz natürlich sinnvoll sein.

Ja, die Realität sieht eben doch anders aus als in Medizin-Soaps. Unangenehmer, unschöner, aber letztlich besser

Was sagt Ly dazu?

11. Juni 2009 um 03 Uhr 53 (Permalink)

grad mal nachgelesen; http://de.wikipedia.org/wiki/Notkompetenz

ganz unten steht,

Durch Nichtergreifen der Notkompetenz wird der Tatbestand einer „unterlassenen Hilfeleistung“ nur erfüllt, wenn bewiesen werden kann, dass es dem Tätigen zumutbar und möglich gewesen wäre dem Patienten durch Notkompetenzmaßnahmen suffizienter zu helfen - dies gilt im übrigen auch für jeden Bürger.

was bedeuten würde, das auch ein pfleger, sofern er wüßte wie es geht, und wirklich kein anderer da ist, artz kommt nicht an land, oder zb zuhause bei irgendjemand durch zufall, eine intubation zuzumuten ist.

bzw jedem bürger maßnahmen die leben retten können sofern er weiß wie es zu machen ist?

Davon ab:

heftig zu lesen.
ulf, was passiert in so einem moment mit dir, hast du so einen adrenalinschub das du einfach geradeaus fokusiert funktionierst und durchziehst?

Was sagt Ulf, der Größte, dazu?

Kommentar vom Scheff hier am 11. Juni 2009 um 05 Uhr 03 (Permalink)

Was passiert?
Früher: Adrenalin
Heute: Ich mache einfach meine Arbeit.

Was sagt psychoMUELL dazu?

11. Juni 2009 um 08 Uhr 29 (Permalink)

@Ulf,
deine Erfahrung macht es wohl wink

Was sagt Patrick dazu?

14. Juni 2009 um 22 Uhr 48 (Permalink)

Da ist ja mal ne Story aber ich kenns nicht anders. Wenn ich da an meinen "Schnuppertag" in der Anästhesie denke. Da war es Gang und Gebe dass die Patienten bereits vom Pflegepersonal intubiert wurden und ne Zugang drin hatten. So was gehört dazu und auch wenns vielleicht makaber klingt aber irgendwie braucht man manchmal auch so etwas.
Im übrigen defibrillieren die Ärzte in den Serien auch meistens bei ner Asystolie ^^

Eigenen Senf dazugeben?

Es hilft, sich einen Account anzulegen und sich anständig zu betragen. Dann kannste auch kommentieren.

Kommentare können hier nur von Mitgliedern abgegeben werden