Ulf. Mehr oder minder täglich Privatkram.

Zum Glück gezwungen- Gewaltmaßnahmen in der Psychiatrie.

Kategorie: Verrueckt

Zwangsjacke.Sie war ein paar mal gestolpert und einmal richtig gestürzt, nachdem sie von den Rettungskräften eingesammelt worden war, weil besorgte Nachbarn ihr Verhalten langsam ernsthaft sonderbar fanden. Das machte ihr Angst. Sie machten ihr Angst, denn sie wußte nicht recht, wie ihr geschah. Sie wurde gefesselt. Jedenfalls fühlte sich das, was sich bei den Profis „Fixieren“ nennt, so an. Das machte ihr noch mehr Angst, und die Angst wurde auch nicht besser, als man die diversen Schnallen und Gurte mit den Stürzen begründete. Sie hatte doch niemandem etwas getan? Und sie hatte dies auch gar nie vorgehabt! Sie hatte sich nur scheinbar nicht so benommen, wie man es von einer jungen Studentin erwartet hatte. Papier und Stifte durchs Treppenhaus geworfen. Aus dem Fenster heraus laut Weihnachtslieder gesungen, auch wenn erst März war. Sie hatte ein Baugerüst erklommen, aber nur auf die zweite Ebene, und sich dort mit einer plüschigen Schließacht aus dem Geschlechtsverkehrfachgeschäft gesichert, wegen der Aussicht auf den Überblick, den sich doch jeder verschaffen sollte. Und sie unterhielt sich gelegentlich mit Laternenpfählen über Janosch, Schopenhauer und Beate Uhse.

Aber sie hatte niemandem etwas getan.

Selbst, wenn sie ihre Rechte gekannt hätte, sie wäre nicht darauf gekommen. Und selbst wenn- hätte
es etwas genützt?*1

Derartige Zwangsmaßnahmen können durchaus berechtigt sein. Wenn der Gefesselte sich selbst oder andere in erhebliche (leibliche!) Gefahr bringt. Aber nur dann! Und so sieht es das Gesetz auch vor.

Ich habe zu fixieren immer gehaßt. Wir alle haben es gehaßt, ich habe niemanden kennengelernt, der gerne Menschen festgebunden hat. Doch wenn jemand im Delirium bei Alkoholentzug randaliert oder sich selbst durch wiederholt versuchte Freiübungen auf dem Fensterbrett im fünften Stock in Gefahr bringt, dann kann das schon hilfreich sein, auch um den Patienten vor sich selbst zu schützen.

Spaß macht es auch dann nicht, vor allem, wenn man sich in das „Opfer“ hineinversetzt.

Mitpatientinnen von mir im Sommer 2007 auf der Geschlossenen hingegen ließen sich gelegentlich sogar freiwillig festgurten- wegen Selbstverletzenden Verhaltens bei Borderline-Persönlichkeitsstörung. Um sich nicht selbst Schaden zuzufügen. Bis sie fanden, die Gefahr sein vorüber.

Allerdings darf jemand nur dann zwangsweise eingeklapst resp. fixiert werden, wenn ein Richter (oder der gesetzliche Betreuer mit diesem Recht) dies beschließt, und bei Gefahr in Verzug muß dieser Beschluß binnen vierundzwanzig Stunden nachgeholt werden. Doch im Zweifelsfalle ist man schneller drinne als wieder draußen, und ob das richterliche Auge bei diesen Verrückten da so genau hinguckt, ob wirklich körperliche Schäden drohten? So werden schnell ein paar Wochen Urlaub hinter verschlossener Tür daraus.

Bekommst Du dann vielleicht einen berechtigten Koller, weil Du festgehalten wirst, obwohl das völlig übertrieben ist, dann gibt es schnell wieder Gurte, Pillen und ein paar Tage Verlängerung.

Mir blieb das zum Glück erspart- mangels Wahn bzw. Psychose hatte ich meinen Verstand so gut sortiert, daß ich richterliche Beschlüsse umging, indem ich mich „freiwillg“ behandeln ließ. So gibt's schneller wieder Auslauf, und desto schneller könnte ich mich umbrigen, so meine Rechnung damals.

Andere hatten weniger Glück- siehe Einleitung.
Die Schäden an der Seele (Trauma) sind nicht zu unterschätzen- selbst dann nicht, wenn die Maßnahme berechtigt war. Wie man es dreht, Gewalt bleibt Gewalt und verletzt Körper, Geist und Seele. Und desto vorsichtiger sollte sie beschlossen werden.

Aber nach etlichen Schilderungen von verschiedenen Menschen ist Gewalt weniger selten als mensch glaubt. Und ich weiß wohl einzuschätzen, wie zuverlässig meine Quellen sind.

Verzapft am 16. Januar 2012, so um 10 Uhr 14

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Kommentare

Was sagt Monika dazu?

16. Januar 2012 um 21 Uhr 17 (Permalink)

puhh, dem bin ich entgangen, meine Spinnereien waren (sind) nur im Kopf, nicht in meinem Verhalten, aber wenn ich sie geäußert hätte über den Kreis vertrauter Menschen hinaus, wer weiß
magisches Denken ist eine Psychose
wünsch Dir alles Gute

Was sagt Wiesodenn dazu?

16. Januar 2012 um 21 Uhr 19 (Permalink)

Ich habe nun das Interview mit Matthias Seibt auf Zeitonline gelesen.
Und ich musste mir am Kopf kratzen.
Gut, ich kann als Schweizer die Situation in Deutschland nicht beurteilen. Dafür weiss ich zuwenig über die Gesetzeslage in Deutschland.
Aber dass eine Person nur zwangseingewiesen werden darf wenn sie sich oder andere gefährdet wird wohl in beiden Staaten gelten.
Viele werden sicher eingewiesen weil sie im Alkohol- oder Drogenrausch ausflippen. Die sind aber ziemlich schnell wieder draussen, wenn der Rausch ausgeschlafen ist. Ausnüchterungszelle bei der Polizei oder in der Psychiatrie.

Die meisten Menschen werden eingewiesen, weil sie Psychopharmaka nicht mehr nehmen wollen, die ihr Arzt verschrieben hat.

Stimmt das wirklich?
Diese Menschen brauchen meist nur einen freundlichen Zuhörer oder Hilfe bei einem akuten Problem.

Das tünt wie Geschwurbel von Licht und Liebe.
Wenn jemand gewalttätig wird, ist das mit dem ganz normalen Strafrecht zu lösen. Nur für die seelisch Kranken wird hier ein nahezu unbeachtetes System aufgebaut.

Und ich dachte dass man die seelisch Kranken medizinisch behandeln und nicht kriminalisieren soll.
Ich war im Jahr 2000 3 Monate freiwillig in der Psychiatrie, davon 7 Wochen auf der Geschlossenen, und wie ich mich zurückerinnere wurde da nur einer fixiert.
Das war hier: http://www.zsb-bern.ch/li_pzo.htm
http://www.wikiwallis.ch/index.php/Gottlieb_Guntern

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