Schlaflos in der Nacht.
Kategorie: Vergangen
Fast alle Patienten schliefen. Einer zwar erst nach einer gewaltigen Menge intravenös infundierten Morphins, aber immerhin. Fast alle, nur nicht mein Sorgenkind. Schwerkrank war sie ja, und wie. Die Zytostatikabehandlung gegen den Krebs hatte das Herz
schwer geschädigt, der Körper und damit auch die Lunge waren voller Wasser, und nun lag oder saß sie da halb, schnaufend, mit einem Atemzugsvolumen von Teetassenniveau. Der Druckwandler für den Sauerstoff war schon auf acht Liter pro Minute, doch reichte ihr das nicht. Ob man nicht etwas machen könne?
Wir machten schon fast alles. Sie bekam tagsüber große Mengen an ausschwemmenden Mitteln, doch wenn auf die Niere zu wenig Blutdruck einwirkt, kommt trotzdem nicht viel dabei heraus.
Ich telephonierte mit Frau Doktor W. und besprach mich mit ihr. Wie zu erwarten war kam die für diese nächtliche Stunde perfekte Anordnung, auf die ich auch schon spekuliert hatte: Morphin, fünf Milligramm subcutan, also in das Fettgewebe in der Unterhaut.
Allein die Patientin wehrte sich sehr dagegen. Sie war, wie leider noch zu viele Menschen, im Glauben, Morphin sei nur für das Sterben da. Daß genau dieser Fall zur Zeit vorlag mochte ich ihr nicht sagen. Wie lange, das weiß zum Glück ohnehin niemand. „Nein, kein Morphin. Außerdem habe ich doch gar keine Schmerzen!“ sagte sie in ihrem typischen Tonfall, der leicht als weinerlich mißverstanden werden könnte.
Ich versuchte ihr zu erklären, daß ich ihr das Morphin auch weder zum Sterben noch gegen Schmerzen verabreichen wolle. Sondern vor allem deshalb, weil es tatsächlich den Sauerstoffverbrauch des Körpers stark herabsetzt. Fragt mich nur nicht, warum. Ist so. Außerdem dämpft es Atemzentrum und Psyche und euphorisiert. Für Nichtgriechen: macht glücklich.
Kurz: Sie wäre ruhiger, entspannter, entstreßter. Sie hätte weniger Atemnot, da die Anforderungen geringer sind.
Aber nein. Ich kann ja wirklich alles, ich hatte ja sogar mal, wie ich oftmals erzähle, meinem türkischstämmigen und behaarten Zimmergenossen erzählt, daß man vom Onanieren Haare bekäme an den Fingern. Überzeugend genug offenbar, denn anderntags lief er mit rasierten Flossen herum und machte sich damit zum Gespött der Station. Sogar wir Depressionskranken hatten da was zu lachen.
back to topic: NIchts half. Mal wieder Lorazepam, auch bekannt als Tavor® versucht, mit dem üblichen Erfolg. Besser: Dem üblichen Mißerfolg.
Sie hatte Angst, ich hatte etwas Zeit. Angst zu ersticken, schreckliche Angst. Ich saß eine Weile an ihrer Bettkante und sprach mit ihr. Und ich merkte, wie sie ruhiger wurde. Nicht viel, aber immerhin etwas.
Doch mußte ich noch viel Schreibkram machen. Gut, das hätte ich auch bei ihr machen können, aber die Medikamente für den kommenden Tag... wie soll ich das bloß lösen?
Geht nicht, gibts nicht. Nicht mit mir! Ich schaute ihr verwegen undzwinkernd ins Gesicht: „Soll ich Sie mitnehmen?“ „Mitnehmen, wie? Wohin? Zu Ihnen ins Zimmer?“ „Ja, genau das machen wir! Ich habe schon seltsamere Dinge getan, also stören sie sich daran nicht! Und was das Hygienekommitee dazu sagt ist mir eh schnurz, die brauchen das nicht zu wissen.“ „Wie soll denn das gehen, im Stuhl halte ich es nicht lange aus... “
„Neee. Im Bett. Das könnte gerade so eben passen!“
Und es paßte. Gerade so eben um die Kurve zwischen Schänken, Tresen und Gefuckelzeugs. Und da lag sie nun, todkrank, und tatsächlich: sie lächelte verschmitzt. Ich machte die Pillekes fertig und unterhielt mich etwas mit ihr, und sie wurde zusehends ruhiger und entspannter. Als ich mich nach einer kurzen Weile mal umdrehte, um sie anzulächeln, da war sie sogar eingeschlafen.
Lange schlief sie zwar nicht, aber immerhin, sie hatte etwas mehr Ruhe.
Was sollte ich machen? Manchmal fällt mir nur noch so etwas ein. Aber für diese Patientin und für diese Nacht war es das richtige. In einer weiteren Nacht muß ich neu gucken. Aber vielleicht, vielleicht, vielleicht kann ich ihr dann doch wegen gewachsenen Vertrauens etwas Morphin geben.
Ich glaube nicht, daß ich ein wirklich guter Pfleger bin. Aber manchmal habe ich doch ganz brauchbare Ideen.
Verzapft am 15. Januar 2011, so um 07 Uhr 51
Kommentare
Was sagt Conny dazu?
15. Januar 2011 um 11 Uhr 09 (Permalink)
Und das war sogar eine sehr wundervolle Idee.
Was sagt Ly dazu?
15. Januar 2011 um 16 Uhr 29 (Permalink)
habe ne Fachfrage an dich:
Wenn Morphin den Sauerstoffverbrauch des Körpers herunterfährt, wie sieht das aus wenn ein alter Mensch regelmäßig Morphin gegen Schmerzen nimmt. ( kein Krebs oder ähnlich bedrohlich, also nicht Morphin zum sowieso sterben..).
Der Mann ist so eingestellt, das er keine Hallos hat, ( seine inzwischen an Krebs verstorbene Frau hatte welche, und wie, es hat ihr furchtbar Angst gemacht, die Dosierung war schwierig)
und er ist auch nicht als auffällig euphorisiert zu bezeichnen, also eine den Umständen entsprechende aktive Teilnahme am Leben ist möglich, maßgeblich eben wegen dem Morphin.
Zufällig hat dieser Mensch auch mit Atemnot zu kämpfen und ein Sauerstoffgerät zu Hause für den Fall der Fälle, zb nach dem Treppensteigen zwei Stockwerke fürs heimkommen.
Sauerstoff brauchen doch alle Organe, also im genauen ja der ganze Körper, und ich frage mich wie es ist, wenn die Sauerstoffzufuhr durch Morphin dauerhaft herunterfährt, hm, wie exakt ausdrücken, also ich meine wenn der Körper weniger Sauerstoff verbraucht auf Dauer durch Morphin, werden dann nicht Organe etc beeinträchtigt?
Mir gehts nur ums Wissen, werd keinesfalls hingehen und diesen alten Mann oder Verwandte kirre machen falls da Probleme auftauchen könnten bei Dauermedikation. Manchmal gehts nicht anders als den Deufel mit dem Belzebub zu bekämpfen.
Was sagt Ly dazu?
15. Januar 2011 um 16 Uhr 48 (Permalink)
Nachtrag:
Sauerstoff wird ja auch für die große Anzahl an Stoffwechselvorgängen gebraucht, ohne oder mit wenig geht eben nix oder weniger. Der alte Herr muss Abführmittel nehmen, weil, so wie man mir erläuterte, wg dem Morphin sonst Verstopfung droht.
Ich sag jetzt mal wenig von den dir sicher vorstellbaren Dramen wenn er sein Abführmittel nicht nimmt erst, dann Verstopfung und Unterbauchbeschwerden auftauchen, und er dann, alles eigenständig, zuviel Abführmittel nimmt.
Pflegestufe ist nun beantragt!
Ich bin wirklich inhaltlich interessiert, ob das genannte auch mit der evtl reduzierten Sauerstoffaufnahme in die erstaunliche Fabrik Körper zu tun hat.
Morphin wird ja gottlob inzwischen auch ausserhalb der Krankenhäuser und ausserhalb akuter Sterbenotstand hier und da verschrieben. Es ist besser als sein Ruf, bei bestimmten Bilder kann man, oder muss man auch, eine Abhängigkeit in Kauf nehmen.
Doch die Haken und Ösen sowie weitere Vorteile sind eher allgemein doch nicht bekannt, dein Hinweis wg Sauerstoff zb.
Was sagt Ulf, der Größte, dazu?
Kommentar vom Scheff hier am 17. Januar 2011 um 11 Uhr 02 (Permalink)
@Ly: Nein, dadurch, daß der Bedarf sinkt, fehlt der Sauerstoff eben nicht mehr. Das ist sehr gut bei Atemnot. Außer, man gibt dem Patienten so viel Morphin, daß er gar nicht mehr atmet
@Alle: Danke... aber ich weiß nicht, ob ich das annehmen kann. Ihr erlebt nicht das Chaos, ihr erlebt nicht meine Dokumentationslücken, meine Vergeßlichkeit. Ich glaube nicht, daß ich gut bin. Aber nett bin ich, das weiß ich.
Was sagt Ly dazu?
18. Januar 2011 um 11 Uhr 57 (Permalink)
du bist gut.
Jeder andre ( Kollege ) hat ebenso stärken, und schwächen. Alles andere wäre nicht normal!
Perfektion ist eine Illusion.
Was sagt zora dazu?
05. Mai 2011 um 19 Uhr 16 (Permalink)
ich lese deine zeilen so gerne. besonders bei diesem eintrag kommen mir fast die tränen. ich wünsche meinen mitmenschen, dass es jemanden gibt, der so wie du einfach macht und tut und kreativ ist. gerade, wenn das leben langsam sein ende findet, ist es wichtig, dass man von fachlich versierten menschen gepflegt wird. für angehörige ist das tröstlich und wichtig.
Was sagt Annika dazu?
07. März 2012 um 13 Uhr 05 (Permalink)
Ich erinnere mich an die Zeit, als ich auf einer gerontopsychiatrischen Station das Geld für mein Studium verdiente. Es gab da drei Hauptnachtwachen, von denen die eine grausam, die andere verrückt und die dritte spitze war. Von der konnte ich viel lernen. Sie legte manchmal bei den bettflüchtigsten Patienten die Matratze auf den Fußboden, weil sie fand, dass man die Sturzgefahr damit viel besser reduzieren konnte als mit Fixierungen und Drogen. Sie lehrte mich erstmals das Prinzip der Validation (anerkennen, was der demente Mensch da gerade durchlebt und nicht immer korrigierend eingreifen), auch wenn sie es nicht so nannte--und all das nicht, weil sie so unglaublich belesen und klug gewesen wäre, sondern einfach ein guter Mensch. Fand ich. Später auf der Intensivstation erlebte ich ähnliche Menschen, die scheinbar ungewöhnliche Wege gingen, die aber viel normaler sind, als das, was wir da so für normal halten. Patienten sitzen in diesen Schichten nachts mit beim Essen, wenn sie nicht schlafen können. Ehemalige Programmierer mit hypoxischen Hirnschäden bekommen eine alte Tastatur und werden viel zufriedener, und nicht wenige Patienten bekommen einfach was zu tun: Absaugkatheter auseinanderfummeln, AT-Strümpfe sortieren etc.pp. Muss hygienisch immer einwandfrei sein *seufz*, aber ansonsten heißt es: einfach mal um die Ecke denken! Ich habe zuletzt im Januar einen Patienten mit in die Cafeteria genommen, um mir mein Frühstück zu kaufen, der war seit 3 Monaten nicht mehr draußen gewesen und musste aber zum Dank meine Einkäufe schleppen. Er hat an dem Tag das erste Mal wieder gelächelt. Zwei Wochen später war er tot. Das nehme ich ihm übel
Es hilft, sich einen Account anzulegen und sich anständig zu betragen. Dann kannste auch kommentieren.