Ulf. Mehr oder minder täglich Privatkram.

Heiligabend in der Bar.

Kategorie: Literarisch

Er kam spät am Heiligabend.

Trotz des Schildes übersah er die Stufe am Eingang der schmuddeligen kleinen Bar hinter dem Hauptbahnhof. Statt sie zu betreten bestürzte er diese daher mit Schwung, wobei er zielsicher und mit einem unerfreulichen Geräusch mit seiner Nase auf der Kante eines Barhockers aufschlug.

Blut schoss ihm in den Bart, während er in selbigen einen entsetzlichen Fluch ausstieß.

Der Barkeeper versuchte halbherzig und mit nur beschränktem Erfolg sein Lachen zu unterdrücken. Als der Gast wieder die Kontrolle über sich und seinen Körper erlangt und Platz auf dem Hocker genommen hatte, der ihm fast die Nase gebrochen hatte, reichte er ihm reichlich Küchenkrepp.

„Was darf es denn sein?“

Mit dem Küchenkrepp das Blut zu entfernen suchend: „Ein großes Pils und sechs Korn.“

„Sicher?“

„Natürlich! Mir steht gerade wirklich nicht der Sinn nach Scherzen!“ fauchte der Mann auf dem Hocker. Und kippte dann Korn für Korn und anschließend das Bier in erschreckender Geschwin­digkeit runter.

Der Wirt versuchte sein Erstaunen zu überspielen. „Und, Herr Weihnachtsmann? Wo parkt der Rentierschlitten?“

„Draußen im Wald beim Park-and-Ride-Platz. Von da aus bin ich mit dem Bus hierher.“

Von wegen nicht zu Scherzen aufgelegt, dachte der Wirt. „‘Türlich. Und, Herr Weihnachtsmann, fleißig am Geschenke ausliefern?“

„Das mache ich schon lange nicht mehr selbst. Wie sollte ich das denn schaffen?“

„Na, Du hast doch reichlich viele Kollegen, die hier rumschwirren!“ - Er zeigte auf ein paar Gestal­ten in der Ecke, die, noch im Weihnachtsmannkostüm, sich von ihren Auftritten erholten. „Was führt Dich denn sonst heute hierher zu mir?“

Der Weihnachtsmann lächelte. „Weißt Du, Klaus, ich habe Dich damals ein paar mal vergessen.“

„Hab ich nichts von gemerkt. Ich habe immer Geschenke bekommen. Allerdings nicht von Dir.“ Er lachte gekünstelt. Das Lächeln irritierte ihn irgendwie.

„Das meine ich auch nicht. Erinnerst Du Dich daran, wie Du beim Fußballspielen die Fensterschei­be getroffen hast? Und die Tat erfolgreich Deinem -bis zu diesem Tag- besten Freund Kalle in die Schuhe geschoben hast? Der furchtbaren Ärger und die Scheibe von seinem Taschengeld abgezogen bekam?“

„Äh...“ (wer hat ihm das erzählt?)

„Und wie war das mit den fünfzig Mark, die Du Deiner Mutter geklaut hattest und für die Dein Bru­der Ralf die Prügel bekam?“ - Der Gast sah ihn scharf an.

„...“ (Woher? Das war auf jeden Fall nicht sein Bruder Ralf! Der hatte braune Augen und nicht blaue. Und sah auch sonst ganz anders aus!)

„Und wie kam es, dass Deine Schwester Maria mit sechzehn schwanger wurde, Klaus?“ - Sein Blick wurde bohrend.

Klaus wurde abwechselnd heiß und kalt. Das konnte niemand außer ihm wissen! Er war allein zu Hause gewesen, als er im Zimmer seiner Schwester, in dem er ohnehin nichts zu suchen hatte, die Kondome gefunden hatte. Und jedes einzelne mit einer haarfeinen Nadel durchbohrte, Stück für Stück, einfach so. Weil er es konnte. Weil es ihm einfiel. Weil er es lustig fand.
Für Maria wurde ihr weiteres Leben weniger lustig. Sie hatte es sich anders vorgestellt.
Warum wusste diese Weihnachtsmannfigur eigentlich seinen Namen?

Der seltsame Gast hatte nicht geflüstert, und so schauten die wenigen Gäste neugierig auf das Ge­schehen.

„Komm her, Klaus. Hierher! Zu mir!“

Er wusste nicht, was passieren würde, und bekam allmählich richtig Angst. Doch sich zu widerset­zen wagte er nicht. Mit zitternden Knien kam er hinter dem Tresen hervor und stellte sich vor diese immer unheimlicher werdende Gestalt.

Der Weihnachtsmann griff an seinen Gürtel, und mit der rechten Hand zog er eine Rute hervor. Und noch ehe dieser sich wundern konnte, packte er mit links und schraubstockartigem Griff Klaus im Nacken. Legte ihn übers Knie. Und verpasste ihm die schlimmste Tracht Prügel seines Lebens.

Als er fertig war, ließ er Klaus wieder los. Er steckte seine Rute ein. „Fröhliche Weihnachten!“ wünschte er, während er die kleine Bar verließ, um den Bus zum Park-and-Ride-Platz zu nehmen, wo seine Rentiere mit dem Schlitten auf ihn warteten.

Verzapft am 23. Dezember 2017, so um 12 Uhr 11

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Kommentare

Was sagt Achim dazu?

14. Dezember 2022 um 17 Uhr 35 (Permalink)

Andere Pointe:
Barkeeper in dieser schäbigen Bar, du hast es ganz alleine geschafft, dein Leben zu ruinieren.
Ich finde, das ist Strafe genug.

Eigenen Senf dazugeben?

Es hilft, sich einen Account anzulegen und sich anständig zu betragen. Dann kannste auch kommentieren.

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