„Ich hätte Dich aus dem Grab gezerrt und Dir den Hintern versohlt wegen des Lokführers!“
Kategorie: Verrueckt
So sprach eine Bekannte zu mir, als ich nach meiner Entlassung aus der Klinik von meinen diversen Suizidversuchen berichtete. Natürlich wäre der Lokomotivführer, wäre er denn schneller gewesen, wirklich nicht zu beneiden gewesen. Doch der Wunsch zu sterben ist
zwingend. Doch das begriff sie nicht, wie viele andere es auch nicht begreifen können.
Denn man kann diese verdammte Depression nicht zeigen, nicht sehen, nicht anfassen, greifen, be-greifen. Das ist, was für so viel Unverständnis sorgt. Reiß Dich zusammen, so schlimm ist das alles nicht und so.
Mit dreizehn, vierzehn fing es bei mir an. Ich konnte mich niemandem öffnen. Es ging nicht. Das Leiden sucht sich seine Qual. Ist für Aussenstehende kaum zu begreifen.
Du willst nicht sterben, Du musst. Die Welt ist ohne Dich eh besser dran. Der Wunsch zu Sterben wird so zwingend, dass in deinem Kopf NICHTS anderes mehr Platz hat. NICHTS. Selbst wenn sich dein Gewissen wegen der Folgen für die anderen plagt: Du kannst nicht anders. Denn Dein Überleben wäre noch unzumutbarer. Für alle.
Stelle dir vor, du bekommst keine Luft mehr. Du wirst versuchen zu atmen. Depression ist das Gegenteil. Sterben ist atmen. Es ist die Hölle. Das heißt, die Hölle ist ein Paradies dagegen.
Du gehst freiwillig in die Klapse, weil du weißt, dass du nur so bald wieder eine Chance auf Ausgang und damit zum Suizid hast. Mit richterlichem Beschluss ist das wesentlich schwieriger. Du tust so, als ginge es dir besser. Du sagst, Nö, sterben willst Du nicht mehr. Du wirst wieder auf die offene Station verlegt. Du suchst sofort einen Stadtplan auf der Suche nach Schienen und ähnlich nützlichen Dingen.
Dein Gehirn ist Dein Feind. Und Dein Feind versucht auch zu verhindern, dass Du Dir Hilfe suchst. Die Depression lähmt Dich. Die Depression behindert Dich. Die Depression zerstört Dich und Dein Leben.
Ihr müsst das alles nicht verstehen. Es ist vielleicht sogar besser für Euch, ihr tut das nicht. Aber bitte akzeptiert einfach, dass es sowas gibt.
Das ist das Problem: Man siehst es nicht. Man kannt es nicht anfassen. Aber auch eine Beinprothese, einen künstlichen Darmausgang oder sowas kann man sich zwar ansehen- wie es sich anfühlt weiß man noch lange nicht.
Verzapft am 05. August 2013, so um 12 Uhr 05
Kommentare
Was sagt Michael Drews dazu?
05. August 2013 um 13 Uhr 40 (Permalink)
Gut geschrieben. Diese Gedanken versteht im Detail aber wirklich nur jemand, der das selbst von sich kennt. Einige Profis, die sich sehr intensiv damit beschäftigt haben, wie Psychiater, Psychologen und Sozialarbeiter verstehen das auch nur ansatzweise, so sind zumindest meine Erfahrungen.
Die beschriebenen Gedanken von dir, treten wie bei dir, häufig mit dem Ende der Latenzperiode auf, also ab ca. 12 Jahren, wenn es sich um eine frühkindliche Erkrankung handelt, wie bei mir und scheinbar auch bei dir. Schön, damit nicht allein zu sein. Mit diesem Wissen sind Verletzungen von anderen Menschen nur halb so schmerzhaft. Ob gewollt oder ungewollt, das spielt im Prinzip keine große Rolle.
Was sagt simop dazu?
05. August 2013 um 16 Uhr 29 (Permalink)
Ulf, ich gehöre ja auch zu denen, die es - aus meiner Sicht gottseidank - nur abstrakt und kognitiv verstehen können, aber gerade da finde ich solche Beiträge wie deine sehr wertvoll.
Zwar kann ich mich immer noch nicht einfühlen, aber ich ahne zumindest, warum eben jemand sich vor den Zug wirft oder von der Brücke springt. Auf abstrakter Ebene zwar, aber immerhin. Und ich gebe zu, den Gedanken "denkt der denn nicht an..." hatte ich auch schon - aber durch dich und einige andere habe ich gelernt, dass das wohl nicht geht.
Und das ist finde ich auch schon wichtig.
Was sagt Big Al dazu?
05. August 2013 um 17 Uhr 08 (Permalink)
Es gibt noch andere Erkrankungen die einfach nicht akzeptiert werden wie rheumatische und andere Schmerzerkrankungen. Siehste zum Teil nicht, "also stell dich mal nicht so an". Höre ich auch öfter.
Was sagt Ulf, der Größte, dazu?
Kommentar vom Scheff hier am 05. August 2013 um 18 Uhr 36 (Permalink)
Danke!
Der war einfach überfällig, bisher hatte ich mich dazu immer nur kurz geäußert.
Mal gucken, wann die Besserwisser, Trolle und andere Idioten hierherfinden.
Was sagt Hesting dazu?
13. August 2013 um 07 Uhr 07 (Permalink)
Guter Artikel. Das Post-it gefällt mir auch.
Was sagt kall dazu?
27. Oktober 2013 um 23 Uhr 28 (Permalink)
Na klar, das ist immer der erste affektive Gedanke. Die arme Sau, die den umgefahren hat, umfahren musste. Und die armen Schweine, die den dann wegräumen müssen.
Die Diskussion hatten wir ja ausführlichst an den verschiedensten Stellen, und es ist wohl wirklich sehr, sehr schwierig klarzumachen, dass der Gedanke an "die armen Schweine", selbst wenn er denn tatsächlich für einen Moment Platz im Kopf eines Suizidenten (kann man die so nennen?) haben sollte, keinerlei Chance gegen den absoluten Willen zu sterben haben KANN, weil daneben eben nicht anderes mehr Platz hat.
Und Big Al hat einerseits recht, es gibt etliche Krankheiten und Gebrechen, die und deren Auswirkungen man scheinbar nur vollständig begreifen kann, wenn man sie selbst erfahren hat. Das begreife ich aus eigener und der Erfahrung anderer immer wieder und mehr. Selbst damit täglich konfrontierte Ärzte kommen zu einem echten Verstehen oft erst, wenn sie selbst zum Patienten geworden sind. Aber prinzipiell möglich sollte es mit der nötigen Portion Einfühlungsvermögen, Offenheit und Zuhören schon sein, nachzuvollziehen wie es den davon Betroffenen damit geht.
Andererseits hat das Geschehen im Kopf eines Menschen, der von der absoluten Notwendigkeit des eigenen Todes hier und jetzt so vollkommen überzeugt ist, vielleicht doch noch eine etwas andere, extremere Qualität, von der man als Nichtbetroffener vielleicht mit einigem gutem Willen eine leise Ahnung gewinnen kann, und Posts wie dieser mögen dazu beitragen. Wirklich verstehen und nachvollziehen dürfte aber höchstwahrscheinlich nur Betroffenen möglich sein. Insofern stellt sich da für mich doch noch ein Unterschied dar.
Was sagt Sarkastikum dazu?
13. August 2014 um 14 Uhr 54 (Permalink)
Ich glaube, ganz wichtig ist auch, dass es gar nicht um das Sterben geht, sondern um das Ziel dessen, das Totsein. Für mich ist das ein großer Unterschied.
Das Sterben wollen ist ja nur der Weg dahin, der meist auch ziemlich egal ist, Hauptsache, er ist zielführend.
Viele (außenstehende) Leute scheinen mir darauf zu schauen, wie 'puplikumswirksam' es 'inszeniert' wurde und bilden sich aus diesem Kontext heraus ihre Meinung. Wie irrelevant das i. d. R. ist, geht ihnen gar nicht auf oder passt nicht ins Denkschema...
Was sagt Hühnchen dazu?
12. September 2014 um 10 Uhr 10 (Permalink)
Ich verstehe das vollkommen und finde den Artikel echt Klasse.
Was niemand so recht versteht oder verstehen will, ist das die Depression eine tödliche Krankheit ist. Wieso, das hast Du eindrucksvoll beschrieben.
Ich selbst kämpfe noch und habe einen Anker (meine Tochter), der mich in schlimmsten Zeiten immer wieder zurück holt. Nicht, weil ich denke, was das meiner Tochter antun könnte, wenn ich nicht mehr da bin (es würde ihr wahrscheinlich besser gehen), sondern wie schlimm das für sie wäre, ihre Mutter aufzufinden, wenn mein Mann nicht schnell genug ist. Dieser Gedanke ist für mich noch schlimmer, als der Gedanke zu existieren.
Bitte mach weiter so mit der Auklärungsarbeit! Mein Mann gehört zu der "setz mich nicht unter Druck"-Version, d.h, wenn ich ihm sage, daß der Gedanke, sterben zu wollen, momentan extrem stark ist und ich quasi um Hilfe flehe, meint er, ich würde ihn unter Druck setzen. Ist keine Hilfe, deswegen werde ich ihm mal Deinen Artikel zeigen. Vielleicht versteht ere dann ein wenig, was Depression bedeutet.
Danke
Es hilft, sich einen Account anzulegen und sich anständig zu betragen. Dann kannste auch kommentieren.