Ulf. Mehr oder minder täglich Privatkram.

23. Oktober 2009

Nachtgespräch.

Kategorie: Verdingt

Ich habe Angst vor den Untersuchungen...
Vor den Untersuchungen oder vor dem, was dabei herauskommen könnte?
Vor letzterem. Ich denke, es WIRD etwas herauskommen. Nichts gutes.
So sicher?
Ich hatte neun Jahre Ruhe und gar nicht mehr daran gedacht. Bin nur zur Nachsorge immer hingegangen. Und dann sagte der Doktor auf einmal: "Ich sehe etwas, was da nicht hingehört!" - Dann ging das los mit Chemo und so, Sie sehen ja, wie ich aussehe. Keine Haare, keine Augenbrauen, Wimpern, nichts, der Mund ist total kaputt, der Bauch voller Wasser, und der Rest wird immer dünner... Und die Metastasen sind bisher trotz der Chemo größer und mehr geworden...
Ja... Das klingt nicht gerade ermutigend. Was ich tun kann, ist im Augenblick vor allem, Ihnen Ihre derzeitige Situation zu erleichtern.
Sie könnten mir gleich nochmals Eiswürfel bringen für den Mund, der quält mich sehr, so kaputt wie der ist...
Wissen Sie, ich habe so gar keine Lebensqualität mehr... Zu Hause kann ich kaum noch raus, einmal die Woche kommt meine Schwester und geht mit mir eine kleine Runde um den Pudding, aber dann wars das auch schon, mehr schaffe ich einfach nicht. Der Krebs hat mich irgendwie total ausgesaugt.

Eis kommt gleich. Ich will nichts schönreden, Positives Denken finde ich ausgesprochen doof und albern. Aber ich bin für realistisches Denken, das beinhaltet sowohl das schlechte als auch das restliche gute. Sie kommen gelegentlich heraus. Sie haben viel Besuch von Ihrer Familie und von FreundInnen. Und von dem Seelsorger aus Ihrer Pfarre, Pater XY. Das ist immerhin mehr als nichts. Ihre Zeit mag begrenzt sein, aber Ihnen ist doch noch etwas geblieben: Die Menschen halten in schwerster Zeit zu Ihnen. Das ist schon was wert.
Meine Zeit... Ich bin der Überzeugung mittlerweile, der vergangene Sommer war mein letzter...
Das kann gut sein. Aber genau wissen kann das keiner. Auch ich, der ich schon hunderte todkranker Menschen begleitet habe, kann das nicht voraussehen. Versuchen Sie, Ihrer verbliebenen Zeit etwas abzugewinnen. Auch wenn das nicht so einfach ist. Aber noch leben Sie erstmal....
Danke... Ich werde es versuchen. Und jetzt erstmal etwas schlafen, denke ich. Gucken Sie nachher noch mal rein?
Natürlich. Ich lasse Sie nicht allein. NIEMANDEN.

[ 02 Uhr 53 ] - [ 2 Kommentare ]

17. Oktober 2009

Spülmaschinenfest

Kategorie: Verdingt

369. Drei ältere Männer. Ein gutes Zimmer. Die Herrschaften haben einen mit meinem kompatiblen Humor. Unlängst rammte ich einem von diesen einen Dauerkatheter in die Harnblase. An der Prostata wurde es etwas eng. "Und was machen wir daraus jetzt?" frug er mich. "Naja, meine Hilti hab ich zu Hause vergessen."

An den Katheter wird ein Schlauch mit Beutel angeschlossen, der täglich geleert wird. Ich nahm den Pott mit dessen Inhalt und die Pipiflasche des Dritten, eines Endachtzigers, und hub an, dies zu entsorgen.

"Kipp doch einfach im Klo drin, dann brauchste dat nich spülen!", meinten die Herren.

"Nee, dat kommt inne Spülmaschine.", entgegnete Pfleger Ulf.

Hahaha, es mache Spaß, von mir gepflegt zu werden, denn ich sei ein echter Witzbold.

Mir war unmöglich, die Patienten davon zu überzeugen, daß das ausnahmsweise mal kein Witz war. So ging ich mit meinem Zeug in den Hock (westfälisch für "Ecke", offiziell Pflegearbeitsraum). Und fand die Kamerafunktion des Mobiltelephons doch mal recht sinnvoll.

Steckbeckenspüle, auch als Kodraspüle bekannt, im Pflegearbeitsraum

Übrigens mit den Originalausscheidungen der beiden genannten.

[ 04 Uhr 43 ] - [ 5 Kommentare ]

06. Oktober 2009

Krankenhauskeim

Kategorie: Verdingt

Frau S. war brastig. Alle Menschen kamen nur noch mit Ganzkörperkondom (Mundschutz, Handschuhe, Schutzkittel, Haube) zu ihr, sie selbst konnte auch nur derart verkleidet heraus. Und besonders wütend und ängstlich war sie wegen dieses Krankenhauskeimes mit dem kryptischen Namen MRSA (Methicillinresistenter Staphylokokkus aureus). Den hatte sie im Krankenhaus bekommen, also war dieses Schuld, daß sie so krank war, obgleich sie doch wegen etwas völlig anderem, nämlich Anämie (Blutarmut) gekommen war. Den Keim hatte sie doch schonmal gehabt und war ihn nach langer Leidenszeit wieder losgeworden. In ihrem Altenheim durfte sie nicht mehr im Speisesaal mitessen, nicht mehr an den Gemeinschaftsaktivitäten teilnehmen, selbst in die Stadt ließ man sie nur gehen, wenn sie einen Mundschutz trug.

HÄH?!?

Ein Fall für Pfleger Ulf, den Ausbilder und damit Erklärer vom Dienst.
Sie war besiedelt mit dem Keim, nicht infiziert. Nicht krank. Kein Problem. Der Körper ist ohnehin übersät mit Staphylokokken, Die wohnen da eben. Und tun meistens nichts und sind dem Körper egal. Und wogegen sie resistent sind auch. Das Immunsystem wird damit fertig, denn es ist kein Antibiotikum. Deshalb war sie auch nicht damit krank, sondern nur wegen der Anämie. Die Isolierung hingegen war nötig, um den Keim namens MRSA nicht von ihr auf andere PatientInnen zu verschleppen, die vielleicht mehr Probleme damit bekommen als sie. Die geschwächt sind, offene Wunden haben oder so. Dann ist er nämlich nur schwer kaputt zu bekommen.

Das sind die Regeln fürs Krankenhaus. Draußen gelten andere. Denn da ist die Gefahr, mit dem Keim Ärger zu bekommen, minimal. Natürlich darf sie, laut Robert-Koch-Institut, der obersten Autorität für Schleimkeim und so. Gemeinschaftsaktivitäten: erlaubt. Speisesaal: erlaubt. Mit Mundschutz in die Stadt: absoluter Kokelores.

Sie verstand. War beruhigt. Kooperativ. Dankbar.

[ 00 Uhr 25 ] - [ 3 Kommentare ]

26. September 2009

Ich bin von der Presse!

Kategorie: Verdingt

"Ich bin von der Presse! Ich werde darüber einen Bericht aus Patientensicht verfassen! Ich arbeite nämlich bei der XXX (lokales Straßenmagazin)"

Aha. Ja sicher. Ich bin auch von der Presse. Ich führe ein Weblog.

Du glaubst, Du hast die Macht, den Ruf der Klinik zu ruinieren und weidest Dich daran. Und Du glaubst, ich falle deswegen vor Dir auf die Knie und winsele um Gnade. Nix da. Nicht mit mir.

Nachdem er sich zum fünften Mal wiederholt hatte, während seine unglücklich und depressiv wirkende Frau, welche er vor zwei Jahren aus Thailand "geholt" (gekauft?) hatte, antwortete ich ihm unbeeinduckt: "Auch wenn Sie jetzt diesen Artikel schreiben, füllen Sie doch bitte trotzdem dieses Beschwerdeformular aus, dann geht das über das Qualitätsmanagement, und wenn da irgend etwas schiefgelaufen sein sollte, kann der Fehler dann darüber auch entsprechend behoben werden."

Ich habe ihn nie wieder davon reden hören.

[ 00 Uhr 12 ] - [ 1 Kommentar ]

18. August 2009

Freund Hein und der Perser

Kategorie: Verdingt

Herrn B, einen persischstämmigen Patienten, kannte ich schon einige Jahre. Viel länger, als die meisten die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs überleben. Aber dieses Mal war klar, daß es sein letzter Aufenthalt bei uns werden sollte.

Er und seine große Familie waren, wie ich wußte, gläubige Muslime. Daß da etwas, sagen wir mal, ausdrucksvoller getrauert und Abschied genommen wird, war mir schon klar. Und daß die Sterbebegleitung irgendwie anders ablaufen würde, als ich gewohnt war.

Was tun? Trotz einer deutlich dreistelligen Anzahl an Begleitungen war noch nie ein Moslem darunter gewesen. Aber ich weiß alles. Was ich doch nicht weiß, kann ich recherchieren.Und ich erinnerte mich, daß ich zu eben diesem Thema vor einiger Zeit in einem meiner Lieblingsblogs etwas gelesen hatte: Beim Bestatter.

Die Angehörigen waren bisher sehr anstrengend gewesen, sie klingelten dauernd, standen ständig wegen allem möglichen m Dienstzimmer. Als ich ihn Samstag übernahm und mich über die Gebräuche informiert hatte, ging ich dann erstmal hinein. Und fragte ob ich ihn eventuell nach Mekka ausrichten sollte in Rechtsseitenlage, den Winkel hatte ich im Internet festgestellt.Damit hatte ich sofort das Vertrauen gewonnen. Die Familie wurde ruhiger (aber nicht leiser wink ) und meldete sich kaum noch bei mir. Ich sprach mit ihnen über die Versorgung nach dem Versterben. Anders als bei uns müßten die Zähne herausgenommen werden und der Mund mit einem Tuch so zugebunden werden, wie ich gelernt habe, daß man es nicht macht. Die Hände nicht falten, sondern NEBEN den Körper Und die Großzehen zusammenbinden. Die rituelle würden sie selbst machen auf dem Waldfriedhof Lauheide, dort gebe es die entsprechenden Möglichkeiten.

Am Sonntag Abend dann verstarb er. Auf der rechten Seite liegend, das Gesicht gegen Mekka gerichtet. Alles war gut.

[ 05 Uhr 29 ] - [ 4 Kommentare ]

10. August 2009

Die Glatze

Kategorie: Verdingt

In meiner Funktion als Pflegekraft haben alle für mich gleich zu sein. Auch wenn das manchmal schwierig ist.

Den mageren und kahlköpfigen jungen Mann hatte ich schon während der letzten Tage auf meiner anderen Station gesehen, wenn er zum Rauchen ging. Ich hielt ihn für einen Krebspatienten, jedenfalls sah er so aus. Dann wurde ich im Rahmen der Ausbildung auf seine Station versetzt.

Dort entpuppte er sich als Skinhead aus der Neonaziszene. Diverse verfassungsfeindliche Symbole zierten seinen Körper. Doch er trat mir seltsamerweise nicht wirklich haßerfüllt entgegen, im Gegenteil, er schien mich zu mögen. Auch wenn er zu mir immer sagte: "Ihr Pazifisten, Ihr seid doch immer die Verlierer! WIR werden siegen!" (Ich dachte mir nur: "Laber Du nur, ich müßte nur einmal an Deiner Drainage ziehen, dann zeigt sich, WER der Verlierer hier ist..."

Die Morgenpflege gestaltete sich bei ihm recht, äh, übersichtlich. Fast hätte ich ihn gerüffelt: "Ein Deutscher wäscht sich aber ordentlich!"
Die examinierte Kollegin berichtete mir, daß sie vor der Operation aus seinem Bauchnabel etwas herausgeholt hatte. Was das war, das wollt Ihr bestimmt nicht wissen.

Er brachte nach seiner Aussage auch vom Bau viel mehr Geld nach Hause als wir Plegekräfte. 3000 Mark netto!
Auf den Aufklebern steht immer die Versicherung. Hier: Stadtverwaltung Münster, Sozialamt. Hehehe.

Nun, er mochte mich wirklich, wenn er mir in der Stadt begegnete, grüßte er mich immer. Wie peinlich!

Naja, er war nur ein armes Würstchen. Doch Jahre später war die Situation schon schwieriger für mich. Ich hatte einen Zivi zur Hand, JöTo, und unter anderem einen 95jährigen und sehr unangenehmen Patienten, der wegen etlicher körperlicher Gebrechen sehr pflegebedürftig war. Wir waren bemüht, ein vernünfties Verhältnis zu ihm aufzubauen, was er jedoch immer wieder torpedierte. Er hackte auf JöTo herum, dem "Drückeberger".
Der fragte ihn dann, was er denn beim Kommiß gemacht habe. Er wäre nicht beim Kommiß gewesen, entgegnete der Patient. Wo denn? Dort hätten doch schließlich zu der Zeit fast alle hingemußt?

Mit stolzem Unterton: "Reichssicherheitshauptamt!"

Manchmal ist es unheimlich schwer, professionell zu bleiben.

[ 06 Uhr 37 ] - [ 7 Kommentare ]

01. August 2009

Immer mit der Ruhe!

Kategorie: Verdingt

Meine KollegInnen wundern sich oft, wieviel Geduld ich mit meinen PatientInnen habe.

Nun, mit Ungeduld komme ich nicht nur nicht weiter, ich mache die Situation sogar nur schlimmer.

Wer absolut keine Ungeduld gebrauchen kann sind demente PatientInnen. Denn sie verstehen meist ihre Situation selbst überhaupt nicht. Wobei sie sehr anstrengend sein können damit.

Ich hatte Nachtwache, und man übergab mir Patientin XY schon als ungeheuer unruhig heute. Mehrfach war sie aufgestanden und dabei gestürzt, hatte sich aber nichts getan dabei. EIn Bettgitter hätte das ganze nur schlimmer gemacht- mehr Unruhe, und sie wäre darübergeklettert und hätte sich erst so richtig auf die Nase gelegt. Bei wesentlich größerer Fallhöhe.

Ihr Zimmer war praktischerweise direkt nebenan, direkt neben dem Dienstzimmer, so daß ich sie immer rappeln hörte. UNd sie irgendwann verzweifelt zu mir setzte und sie mir Gesellschaft leisten ließ beim Vorbereiten des ersten Rundgangs. Sie versuchte trotzdem immer aufzustehen, ohne zu wissen, warum und wohin. Ich bin ja kein Freund der chemischen Keule, aber diese Unruhe tat ja der Patientin selbst nicht gut. Was also ihr geben? In der Kurve standen leider nur 10mg Temazepam, das hielt ich zwar für nicht unbedingt ideal, aber immerhin. Ich gab es ihr, uind dann nahm ich sie mit dem Rollstuhl einfach auf dden Rundgang mit. Natütlich nicht in die Zimmer.

Irgendwann wurde sie dann ruhiger, und ihre Augen wurden ganz klein. Also ab ins Bett, wo sie prompt so tief schlief, daß ich dachte, am kommenden Tag würde es schwer werden, sie wachzubekommen.

Aber um eins wurde sie wieder munter. mehr Medis konnte und wollte ich ihr nicht geben, also wieder Dienstzimmer. Computer, meine Internetpräsenz, alte Photos von mir. Das interessierte sie sogar. Bis sie dann doch wieder müde wurde. Zum Glück hatte ich Zeit genug, mich mit ihr zu beschäftigen. Es liegt mir nämlich nicht so, die Leute zu sehr platt zu machen. Das ist für mich dann keine Pflege mehr.

[ 06 Uhr 17 ] - [ 2 Kommentare ]

23. Juli 2009

Püppchen

Kategorie: Verdingt

Angehende ÄrztInnen müssen ja in Deutschland ein mehrwöchiges Praktikum in der Krankenpflege machen. Da lerne ich oft neben töften auch gar absonderliche Leute kennen. Wie zum Beispiel das Püppchen.

Sie war gerade zwanzig geworden und hatte mit dem Studium begonnen. Sie wirkte zunächst recht nett, doch verzagt. Und sie fiel auf dadurch, daß sie etwa stündlich am Spiegel im Dienstzimmer sich die Haare richtete und ihre Augenpartie mit irgendeiner sauteuren Spezialcréme pflegte. Was mich irritierte, war ihre geradezu hypochondroide Angst, sich irgendwo und irgendwie mit irgendetwas anzustecken. In einem derartigen Beruf ist dies nun nicht gerade praktisch. Doch sie wollte ohnehin Schönheitschirurgin (echt jetzt!) werden. Da sind die Krankheiten zwar auch entsetzlich, aber eher psychisch und damit nur begrenzt ansteckend.

Sie mochte sich auch mit nichts die Finger schmutzig machen. "Er hatte Stuhlgang! Was mache ich jetzt?"
Na was wohl? Handschuhe, Klopapier, abputzen!
"Iiiiiih!"
Kacke ist Kacke. Ob meine oder fremde. Und es gibt immerhin Gummihandschuhe.

Was aber soll ich sagen, wenn eine gerade einmal Zwanzigjährige davon spricht, sich selbst mit Botox zu behandeln? Ihr Gesicht in eine fast regungslose Maske zu verwandeln? Ein strahlendes Lächeln unmöglich zu machen? Ich habe zwar nur wenige Falten, aber diese trage ich mit Stolz. Sie bezeugen mein Lächeln und Lachen, trotz aller Depression.
Mehr als "Du spinnst!" fiel mir nicht ein. Aber das konnte ich mir nicht verkneifen.

Was soll das für eine Ärztin werden?
Ach so, ich vergaß: Schönheitschirurgin.

[ 06 Uhr 52 ] - [ 7 Kommentare ]

15. Juni 2009

Die Kreissäge

Kategorie: Verdingt

Im Sommer 1994 war Krankenpflegeschüler Ulf in der unfallchirurgischen Ambulanz eingesetzt und irgendwann gut eingearbeitet.

Da wurde einer eingeliefert mit einem unglaublich gewaltigen Verband im die Hand, direkt von der Baustelle, auf welcher er selbige in die Kreissäge geschoben hatte.

"Ulf, pack schon mal aus bitte!"

Ulf wickelte und wickelte in der Erwartung, daß ihm gleich mehrere Finger entgegenfallen würden- wer einen solchen Verband improvisiert, kommt nicht auf die Idee, sie fachgerecht gekühlt zu servieren, in einem Plastikbeutel, der in einem weiteren Plastikbeutel mit Eiswasser schwimmt.
Pustekuchen. Er hatte nur ein paar winzige Kratzer. Etwas Jod drauf, fertig.

[ 11 Uhr 34 ] - [ 5 Kommentare ]

10. Juni 2009

Nicht so wie bei Schwester Stefanie

Kategorie: Verdingt

Ein ganz normaler Spätdienst an einem ganz normalen Sonntag. Es ist zwar gut zu tun, aber ruhig. Ich messe gerade bei einem jüngeren Patienten den Blutdruck, als der Alarm geht. Ich renne los, so wie es mein Übergewicht erlaubt. Wie immer. Das ist eigentlich nicht spektakulär, daß passiert mindestens einmal pro Schicht und ist in der Regel Fehlalarm, versehenlich ausgelöst.

Diesmal nicht.

Ich sehe meine Kollegin am Bett eines älteren Herrn stehen, der seltsame, aber bekannte Geräusche von sich gibt. Eine Mischung aus Gurgeln und Schnappatmung. Ich taste nach der Arteria carotis, der Halsschlagader. Puls hat er noch, aber so, wie es aussieht, nicht mehr sehr lange. Ich übernehme das Management. Das Kopfteil muß weg. Es wäre beim Beatmen und der Intubation im Weg. Außerdem brauche ich das Brett, um es unter den Patienten zu legen, denn die Matratze des Bettes gibt nach und macht damit die Herzmassage unmöglich. Sie wetzt ins Dienstzimmer, um dort den Reanimationsfunk auszulösen, damit innerhalb von wenigen Minuten Ärzte aus der Anästhesie und der Inneren Abzeilung kommen, und um den Notfallkoffer mitzubringen. Als sie wieder eintrifft, bin ich fertig mit der Vorbereitung, der Galgen liegt irgendwo in einer Ecke, das Brett ist unter dem Brustkorb und der Puls ist weg.

Mit dem üblichen ekelhaften Knacken lösen sich die verkalkten Gelenke zwischen den Rippen und dem Brustbein, als ich mit der Herzmassage beginne. Dies sollte man sich nicht so vorstellen wie bei Schwester Stefanie oder vergleichbaren Serien, die alles andere tun als die Wirklichkeit abzubilden. Man hat nicht den Patienten auf Brusthöhe und pumpt mit vorgestreckten Armen, indem man da ein paar Millimeter runterdrückt. Ich stehe über den Herrn gebeugt und drücke das Brustbein unter Einsatz meines Körpergewichtes etwa fünf Zentimeter in Richtung Wirbelsäule. Der Patient sabbert. Währenddessen, wir sind mittlerweile zu dritt, werden der Beatmungsbeutel samt Sauerstoffanschluß zusammengebaut, und nach dreißig Kompressionen meinerseits bekommt der Patient von meinem Mitstreiter aus dem nunmehr fertigen Zeug zweimal hoch mit Sauerstoff angereicherte Luft in die Lungen gedrückt. Und wieder von vorne.

Als die Ärztinnen bei uns aufschlagen, ist er bereits erfolgreich intubiert. Das macht die Beatmung effektiver. Und dann trifft auch schon der Kollege von der Intensivstation ein. Er hat einmal deren Notfallkoffer dabei. Dort ist noch mehr Zeug drin. Und den Defibrillator samt EKG. Während ich weiterpumpe, wird verkabelt. Kammerflimmern. Also setzt er die Pads an. "Weg vom Bett" - Das kommt wohl in jeder Serie noch vor. Der Rest ist weniger spektakulär. Er zuckt ein bißchen. Sinusrhyhmus! Doch die Freude währt nicht lange. Nach insgesamt fünfmal "grillen" (Krankenhausjargon für defibrillieren, also mit Elektroschock das Herz wieder dazu zu bewegen versuchen, vernünftig zu schlagen) haben wir ihn anscheinend soweit. Das Herz schlägt. Das EKG sieht zwar abenteuerlich aus, aber wenigstens schlägt das Herz.

Tags darauf erfahre ich von den Kolleginnen der Intensivstation, daß er wieder wach und ansprechbar ist.

Mein Beruf ist zwar ganz anders und teilweise auch unästhetischer als bei Stefanie. Aber das ist echt. Das kann mir kein Fernseher geben.

[ 04 Uhr 50 ] - [ 9 Kommentare ]

06. Juni 2009

Werden, Sein, Vergehen

Kategorie: Verdingt

Krankenschwestern wischen Ärsche ab, tragen Urinflaschen hin und her, und ansonsten trinken sie Kaffee.

Nein!
Dieses Klischee ist zwar immer noch weit verbreitet. Dies macht es aber nicht richtiger.

Gestern abend teilte mir unsere Auszubildende mit, Frau X habe den Wunsch zu sterben geäußert.
Der Leidensweg von Frau X begann vor einem Jahr, als man bei ihr ein Pankreaskopfkarzinom (Bauchspeicheldrüsenkrebs) feststellte. In der Regel, wie auch hier, ist das ein Todesurteil.

Als ich heute Vormittag genug Zeit und Ruhe hatte, ging ich zu ihr.

"Tach, Frau X., wie ist die Lage?"
"Danke, recht gut. Ich habe keine Schmerzen mehr, und heute mußte ich auch noch nicht brechen!"
"Prima! Und sonst? Ich habe gehört, sie wollen nicht mehr, sie möchten bald gehen?"

Sie begann zu weinen. Ja, sie habe nun keine Kraft mehr, zu kämpfen, erst die Diagnose, dann die ganzen Chemos, die Übelkeit, das Erbrechen, die Schmerzen, sie ja Gottseidank jetzt erfolgreich behandelt wären... Sie sei jetzt dreiundsiebzig, sie habe ihr Leben gelebt. Irgendwann werde man nunmal geboren, und irgendwann müsse man nunmal sterben. Ihre Tochter habe ihre Offenheit sehr begrüßt und unterstützt, aber ihr Sohn und ihr Mann kämen damit gar nicht zurecht. Er sage immer, Du kannst mich doch nicht alleine lassen!

"Soll ich denn mal mit ihrem Mann sprechen? Wenn ich ihn heute nicht mehr sehe, dann morgen?"

Ja, bitte. Sie sei neulich noch in Lourdes gewesen mit ihrem Sohn, das sei ihr größter Wunsch gewesen, und nun wolle sie einfach nicht mehr. Sie hoffe nur, nicht leiden zu müssen.

"Ich glaube, das bekommen sie wohl hin. Ihre Schmerzen haben wir ja gut eingestellt bekommen, so daß Sie schmerzfrei sind. An der Übelkeit muß noch gearbeitet werden, da bin ich aber zuversichtlich. Und wenn es soweit ist- da Sie sich nun nicht mehr krampfhaft an Ihr Leben klammern, wird es leichter für sie werden, zu gehen. Weil der Abschied leichter ist, weil es dann erfahrungsgemäß auch weniger lange dauert dann und außerdem nicht so qualvoll ist, wenn Sie sich nicht gegen das Sterben sträuben."
"Wie lange dauert es denn noch, bis ich sterben darf?"
"DAS weiß ich nicht. Das kann Ihnen kein Mensch sagen. Das liegt auch nicht in unserer Hand. Ihr Zustand jetzt ist nicht sooooo schlecht, das kann also durchaus noch ein paar Wochen dauern. Aber oft gehts auch ziemlich schnell, daß sie abbauen. Das wird sich zeigen. Aber keine Eile damit, wenn Sie in Ruhe und Frieden sterben möchten, dann ist Eile und Ungeduld nicht gut."
"Und alle sagen immer, ich soll essen, essen, essen. Damit ich zu Kräften komme. Ich mag aber nicht, ich habe keinen Appetit. Und Hunger schon gar nicht. Und außerdem kommts sonst alles wieder oben raus!"
"Essen Sie nur das, was sie mögen und soviel, wie Sie möchten. Essen sollte keine Qual sein, für Sie schon gar nicht. Außerdem ist Ihre Zeit absehbar begrenzt jetzt, da sollte auch eine Mangelernährung kein echtes Problem mehr sein."

Das Gespräch ging noch viel, viel länger. Ich fuhr sie dann noch mit dem Rollstuhl ein wenig durch die Klinik und zeigte ihr die Stätten meines Wirkens. Dann schob ich sie noch in die Klinikkapelle, da sie sehr gläubig ist. Dort betete sie eine Weile.
Und zurück auf ihrem Zimmer wirkte sie viel entspannter.

Das ist auch Pflege.

[ 14 Uhr 38 ] - [ 10 Kommentare ]

11. Mai 2009

Verstopfung

Kategorie: Verdingt

Es ist ja nicht so, daß ich nichts zu tun habe. Aber es gibt Menschen, die bemerken das nicht und diskutieren mit mir stundenlang sinnlos herum. Wie diese Dame um die 70, die eigentlich geistesklar war. Sie meckerte ohne Unterlaß, daß noch kein Arzt gekommen sei, obwohl sie privatversichert sei. Kann ich verstehen, nur, daß mich das ein sattes Viertel meiner Arbeitszeit kosten mußte, das wollte und will nicht in meinen Kopf. Immer wieder von vorne.

Dann kam sie irgendwann zu mir mit einem anderen Anliegen: sie sei auf der Toilette gewesen und diese nun verstopft. Freitag Nachmitag, kein Klempner mehr im Haus. Das heißt: Selbst ist der Pfleger. ich schnappte mir Handschuhe, um diesem Ereignis todesmutig entgegenzutreten, in der Erwartung, das U-Rohr von einem rekordverdächtigen Haufen zu befreien wie damals in meinem Psychiatrieeinsatz.

Noch bevor ich ins Klo griff, tat sie es: Sie müsse gestehen, daß sie ihre Flockenwindel (so Minipampers bei Inkontinenz, etwas größer als eine Damenbinde) zerpflückt und hineingeworden habe.

Himmel, das weiß man doch! Das macht die doch zu Hause auch nicht, oder? Und der Mülleimer war in Reichweite!

Ich seufzte und machte mich an die Arbeit. Ein Einmalwaschlappen war auch noch drin.
Ich hatte irgendwie das Gefühl, das sei Absicht gewesen. Damit ich komme. Aufmerksamkeit....
Und ich dachte, ICH sei geisteskrank!

Als sie für die Nacht eine normale Pampers Vorlagen haben wollte, konnte ich mir nicht verkneifen, zu sagen, wenn sie diese auch noch in der Toilette entsorgen würde, bekäme sie richtig Ärger mit mir.

[ 04 Uhr 52 ] - [ 5 Kommentare ]

29. April 2009

Der letzte Dienst

Kategorie: Verdingt

Einer meiner Patienten, ein ziemlich alter Herr, ist vor etlichen Jahren aus dem Fenster. Der Kopf war zum Glück nur rückwärtig zermatscht (sorry, aber das war so). Als die Polizei den Leichnam endlich freigab, wollte seine Gattin ihn nochmal sehen. Und zwar möglichst schnell, ohne auf die Wiederherstellungsprofis vom Bestatter zu warten. Ich bin ziemlich hartgesotten, ich übernahm das, ein Kollege kam auch noch mit.. Schön war es nicht. Viel Blut, Dreck und Gehirn, wovon wir ihn befreien mußten. Und ständig lief Blut aus den Ohren nach, ständig. Ich bat meinen Kollegen, mir Ohropax zu besorgen- das schien mir das beste. Es half auch und war praktisch nicht zu sehen. Es dauerte eine ganze Weile, bis wir das ganze Zeug von ihm runterhatten. Aber das Ergebnis war zumindest vorzeigbar, wenn auch nicht so schön, wie ein Bestatter es hinbekommen hätte. Die Spuren waren noch zu sehen, aber es sah wenigstens nicht schrecklich aus.

Das hört sich vielleicht alles furchtbar an. Aber mir helfen solche Aktionen, derartige Ereignisse zu bewältigen. Es ist der letzte Dienst, den ich jemandem erweisen kann.

[ 07 Uhr 47 ] - [ 10 Kommentare ]

28. April 2009

Therapieresistent?

Kategorie: Verdingt

Ich habe viele Menschen an Leberzirrhose sterben sehen. Ein wirklich schöner Tod ist das nicht. Wenn man Glück hat, trübt man durch den nicht mehr entgifteten Ammoniak ein und fällt vorm Exitus erstmal ins Leberkoma. Wenn man Pech hat, verblutet man aus Krampfadern in der Speiseröhre, die sich bilden, weil das Venengeflecht dort nicht für den Druck ausgelegt ist, der entsteht, weil sich das Blut, welches nicht mehr durch die vernarbte Leber kann, einen anderen Weg suchen muß. Und der gewaltige Wasserbauch ist auch nicht eben angenehm.

Herr O., pikanterweise ein ehemaliger Lehrer von jemandem, den ich gut kenne, hatte sich dieses wichtige Organ kaputtgetrunken. Er traf bei uns ein mit über vier Promille im Blut und mußte sehr bald auf die Intensivstation, da er ins Delirium fiel, trotz aller Gegenmaßnahmen. Als er wieder zu uns kam, offenbarte sich das Elend. Der gebildete und freundliche Herr Mitte fuffzich, der er war, war Pflegefall. Er sah gruselig aus. Gelb, darunter leichenblaß, seit langem nicht rasiert und seine fettigen Hare waren völlig verstrubbelt. Er war fast zu schwach, um die Arme zu heben. Verkabelt mit Blasendauerkatheter, Infusionen, Infusionspumpe.

Ich ging hinein, um ihn zu waschen, im Bett, mehr war eigentlich nicht drin.

Ob ich ihm die Haare waschen könnte. -kein Problem.
Ach, am liebsten würde er ja mal wieder duschen, aber das ginge ja nicht.

Geht nicht, gibts nicht. Nicht bei mir.
Er war danach total fertig. Aber glücklich.

Ich habe schon kompliziertere Vorhaben realisiert.

Aber wirklich besser ging es ihm nicht.

Wir taten alle alles, was man so tut. Lactulose und L-Ornithin-Aspartat (welches früher aus Hühnerkacke gewonnen wurde) gegen den Ammoniak. Ausschwemmen. Es wurde nicht besser. Irgendwann wurde er auf die Kurzzeitpflege und dann in ein Altenheim und damit in hausärztliche Betreuung ohne Intensivversorgung gegeben.Er würde Weihnachten nicht lange überleben.

Ein paar Wochen später erzählte mir unser Seelsorger, daß er wieder am Rollator herumläuft und ziemlich fidel ist, seit NICHTS mehr gemacht wird.
Er lebt heute noch.

[ 06 Uhr 44 ] - [ 4 Kommentare ]

06. April 2009

Schwindsüchtig

Kategorie: Verdingt

Ein Herr, Ende sechzig und somalischer Herkunft, hatte von seinem derzeitigen Domizil in London seinen Sohn in Münster besucht, als er zunehmende Bauchschmerzen bekam und bei uns landete. Wir steckten Endoskope in alle möglichen Körperöffnungen- NICHTS. Stelten ihn immer weiter auf den Kopf. HIV-Diagnostik, Hepatitisdiagnostik, Tuberkulosediagnostik-

TUBERKULOSE!

Da Tbc eher selten ist in der Gastroenterologie, waren wir lange verschont geblieben davon. Der arme Mann, der kein Deutsch sprach, mußte erstmal isoliert werden und das erklärt bekommen. Ich bin derjenige von uns, der noch am wenigsten schlecht englisch spricht, aber Medical English beherrsche ich auch nicht. Und er auch nicht. Zum Glück konnte seine hier ansässige Familie etwas übersetzen.
Ich war fortan oft für ihn zuständig, da ich mich einigermaßen mit ihm unterhalten konnte.

Die Isolationsmaßnahmen konnten glücklicherweise bald reduziert werden. Er hatte keine Offene Tuberkulose, die ansteckend gewesen wäre, sondern eine Peritoneal-Tbc, also im Bauchfell, und das hustet für gewöhnlich nicht und ist von daher weniger ansteckend

Problematisch allerdings wurde dann die Therapie.

1995 waren wir von der Krankenpflegeschule aus in Wien, wo wir unter anderem das pulmologische Zentrum besuchten. Dort erfuhren wir damals, daß resistente Stämme von Tuberkelbakterien im Kommen seien. Nun denn, so machte man da wieder Liegekuren wie in Thomas Manns Zauberberg.

Er bekam zunächst eine wirksame Therapie, und zwar in Form einer gewaltigen Menge riesenroßer Tabletten.
Wirksame Therapie, naja, alles ist relativ. Sie war nicht wirksam, denn er kotzte alle Pillekes ziemlich schnell wieder aus. WIr wandten uns an Spezialisten. Und dann wurde er auf Streptomycin intramuskulär umgestellt. Ausgezeichnet, meine Auszubildende hatte damit die selten gewordene Gelegenheit, genau das zu lernen. Wobei mich wunderte, daß der Herr, der eigentlich ziemlich schamhaft war, Moslem auch und ein nicht besonders emanzipiertes Frauenbild hatte, sie an seinen Hintern ließ. Zumal ich ihn selbstverständlich fairerweise informiert hatte, daß er jetzt zu Unterrichtszwecken gebraucht würde. Aber er tolerierte das recht gut, und sie tat ihm auch kein bißken weh, sie hatte Talent.

Das einzige, was ich als etwas lästig empfand, war, daß er eine Zeitlang, nachdem ich ihn mal gefragt hatte, zu welchen Zeiten er beten würde, damit wir da nicht immer reinplatzen und ihn dabei stören, damit wir seine Religionsausübung respektieren können, versuchte, mich zum Islam zu bekehren.

Die Tbc ist eine Krankheit der Armen. Deshalb besteht wohl wenig Interesse, diese Krankheit intensiver zu erforschen. Ist wohl nicht lukrativ genug.

[ 06 Uhr 03 ] - [ 4 Kommentare ]

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